Routine statt Laune
Im letzten Monat habe ich erklärt, dass man als Autor seine Schreibzeit schätzen und wichtig nehmen soll, wie andere ihre Arbeitszeit. Wobei das nicht nur für Autoren gilt, sondern für alle, die etwas schaffen, das ihnen am Herzen liegt und die dafür nicht anerkannt werden, weil es ja „nur“ ein Hobby ist. Das ist doch die eigentliche Krux an der Geschichte, dass in unserem Kulturkreis nach wie vor ein Unterschied gemacht wird zwischen Arbeitszeit, in der man Tätigkeiten nachgeht, für die man Geld bekommt und Freizeit, in der man Tätigkeiten nachgeht, für die man kein oder weniger Geld bekommt. Wären alle Autoren erfolgreich, am Besten von Anfang an, würden die dummen Kommentare und Fragen vermutlich aussterben. Doch darüber will ich mich heute nicht aufregen, sondern lieber darüber reden, wie man das macht. Wie kann man eine Schreibroutine auf die Beine stellen? Wie hält man sie durch? Gibt es Hilfen? Und wie lange dauert es mit einer Schreibroutine, bis man so einen Erstentwurf fertig hat? (Falls es darauf eine klare Antwort gibt.)
Selbstdisziplin:
Wenn man versucht eine Routine zu etablieren ist der erste Tipp, den ich geben kann, sich nicht auf Apps oder andere zu verlassen, sondern an die eigene Nase zu fassen. Denn, egal ob ich mehr Sport machen oder einen Entwurf zustande bringen möchte, auf lange Sicht hängt der Erfolg der Absicht allein von mir selbst und der Fähigkeit ab,mir Ziele zu stecken, die ich auch trotz Alltag erreichen kann.
Der erste Schritt in Sachen Schreibrouteine ist, sich anzusehen, was man den lieben langen Tag macht und sich, zu fragen, wo man in der Woche realistisch Zeit für´s Schreiben einrichten kann. Und die Betonung hierbei liegt auf realistisch. Es ist toll, wenn man sich motiviert und pflichtschuldig vornimmt, von nun an jeden Tag drei Stunden zu schreiben. Wenn es dem täglichen Leben nicht standhalten kann, weil man müde vom Brotjob ist, dann sind zwei Stunden pro Abend zu viel und das Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Deswegen: lieber weniger Zeit einplanen und kreativ sein, wenn es um das Finden von Zeitfenstern geht.
Nun zum dem eben genannten Zeitfenster: Den meisten wird bei Schreibroutine der Feierabend als erster verfügbarer Zeitabschnitt einfallen, einfach weil man da zu Hause ist und weniger Verpflichtungen hat und sich wohlfühlt. Und was könnte das Schreiben mehr fördern als die Wohlfühlatmosphäre?
In manchen Fällen Zeitdruck.
Ich hatte auf der Uni eine Bekannte (Hallo Iris!), die für ihre Prüfungen grundsätzlich erst eine Woche vor dem Termin anfing zu lernen. Auf meine Frage warum, erklärte sie mir, erfolgreich arbeiten könne sie nur unter Druck. Die Schreibzeit auf den Feierabend zu verlegen, wäre für jemanden, wie sie, total falsch gewesen. Aber der Morgen, vor dem zur Arbeit gehen, würde jemandem wie Iris perfekt passen.
Warum das nicht mal ausprobieren?
Ein weiterer Vorteil, wenn man vor der Arbeit schreibt? Man hat nur ein enges Zeitfenster und der Druck führt bei manchem dazu, dass er alle Hemmungen fallen lässt, den inneren Kritiker ignoriert und einfach schreibt. Hätte er das zu einem Zeitpunkt probiert, wo er keine engen Grenzen gesetzt bekäme, hätte es vielleicht nicht geklappt.
Nun höre ich aber schon die Kritik. Morgens, bevor man zur Arbeit geht, gibt es noch so viel anderes, was man machen muss. Die Kinder müssen für die Schule, die Kita fertig gemacht werden. Der Hund will raus, man muss auch noch was Essen…. Kurzum, man hat nicht mal zwei Stunden, es sei denn man würde wirklich früher aufstehen und wer will das schon? Und in weniger als einer Stunde kann man doch nichts gebacken bekommen.
Wirklich?
Über Thomas Mann wird gesagt, dass er pro Tag nur eine Seite an seinen Romanen geschrieben hat und er hat trotzdem Sachen wie „Buddenbrooks“, „Der Zauberberg“ und andere zustande gebracht. Man kann also auch mit wenig Zeit viel schaffen, wenn es auch länger dauert. Ja, es gibt sogar Tipps, die das ermutigen. Was mich auf die „100 Wörter“ - Strategie bringt.
100 Wörter / 1000 Wörter / eine Seite Strategie:
Ob die 100 Wörter Strategie speziell für Autoren mit chronischem Zeitmangel entwickelt wurde oder nicht, sei mal dahingestellt, ich selbst bin schon mehrmals über sie gestolpert, und ich habe auch schon Abwandlungen von diesem 100 Wörter Konzept gesehen,bei denen von einer halben Stunde Schreiben pro Tag oder aber eine Seite Schreiben pro Tag die Rede war. Ob die Ideen nun aus einem Schreibkurs stammten oder in den Fällen von den Betreffenden selbst ins Leben gerufen wurden ist ja egal, denn die Idee ist immer dieselbe. Zugrunde liegt, dass man schreiben soll. Am besten täglich. Die Quantität oder die Zeit ist flexibel. Im Fall der ersten Strategie wären das pro Tag 100 Wörter. Eine nicht nur sehr überschaubare Anzahl, sondern auch eine, die man in einer halben Stunde runtertippen kann. Ist man geübter, können es auch gern mehr Wörter sein, so dass man sich, wenn die Zeit es erlaubt, auf 1.000 Wörter oder mehr steigern kann.
So oder so, eine halbe Stunde oder 100 Wörter schreiben erscheint den meisten als überschaubares, erreichbares Ziel. Eine halbe Stunde kann jeder irgendwo einschieben, das ist machbar. Und genau darum geht es. Es muss für normale Menschen machbar sein. Es geht nicht darum gleich in fünf Tagen die Buddenbrooks neu schreiben und über 10.000 Seiten raushauen zu wollen, am besten noch perfekt, sondern sich die Ziele so zu setzen, dass man sie erreichen kann. Das Problem an guten Vorsätzen und einer Schreibroutine ist nicht, dass sie kompliziert wäre, sondern dass die meisten Leute sich ihre Ziele zu hoch stecken und dann frustriert aufgeben.
Also, wir sind schlau und deswegen reichen uns auch 100 Wörter pro Tag und wenn wir das mit meiner persönlichen Methode kombinieren, kommen vielleicht noch mehr zusammen. Wörter und Zeit.
Lückenfüller:
Die Methode ist, wie sie heißt, ein Lückenfüller. Im Endeffekt brauche ich darüber nicht viel Worte zu verlieren, es ist ganz einfach. Wann immer ich irgendwo rumsaß und Zeit hatte, weil ich gerade in der Bahn von A nach B saß oder im Wartezimmer eines Arztes saß, nutzte ich diese „Lücke“ im Zeitplan und tippte auf meinem Handy. Ich hatte gerade sowieso nichts anderes zu tun, warum die tote Zeit nicht zum Schreiben nutzen? Gut, es lief nicht jedes Mal perfekt, ich konnte mich nicht immer genügend vom Lärm der Bahn oder aber dem Kindergeschrei beim Arzt abschirmen und in das Schreiben versenken, aber zustande kam immer was, auch wenn es manchmal nur ein paar 500 Wörter waren.
Ich gebe zu, ich war am Anfang selber skeptisch ob die Idee taugt. Ich mein, immer nur 300 oder 500 Wörter? Ist nicht viel. Am Ende einer Woche war ich überrascht. Durch das Schreiben auf dem Nachhauseweg hatte ich über 2.000 Wörter gewonnen. Das Lücken füllen hat sich für mich gelohnt und inzwischen nutze ich die Zeit zu meiner normalen Schreibzeit dazu. Warum also nicht mal probieren? Zu verlieren hat man nichts und durch die neuen Smartphones und Apps die es heute gibt muss man nicht mal mehr seinen Laptop mitnehmen. Was mich auf die nächste Frage bringt: Gibt es Hilfsmittel um sich auf das Schreiben zu konzentrieren?
Klar gibt´s die.
Apps und Programme:
Je nachdem was man haben möchte, gibt es da die verschiedene Sachen.
Ich bin jemand, der auch dann schreibt, wenn er unterwegs ist. Für mich war deswegen immer entscheidend, ob es etwas gibt, was auf dem Handy funktioniert und mit dem ich das, was ich unterwegs geschrieben habe, einfach mit dem Synchronisieren kann, was ich zu Hause geschrieben habe. Deswegen fiel meine Wahl auf Evernote. Als ich damit anfing, war Evernote nichts weiter als eine Notizapp. Man konnte mit ihr Dinge aufschreiben und später konnte man sie auf dem großen Rechner unter seinem Konto abrufen und anders abspeichern. Gut an Evernote damals war, dass es auch noch gratis war. Es belastete also nicht die Familienkasse. Leider blieb Evernote nicht dabei. Stattdessen wurde die App weiter ausgebaut und ein solides Produkt mit immer mehr Schnick Schnack versehen. Heute kann man neben Texten schreiben auch noch Grafiken erstellen, Bilder speichern, Mails damit verschicken, Dokumente direkt mit anderen Anwendern der App teilen, wenn man sie zu einer Gruppe genommen hat…
Ach, vermutlich kann die App inzwischen auch Handtücher besticken und Wiegenlieder komponieren, es ist auch egal, ich bin gegangen, als der Ausbau anfing, denn ich merkte, bei mir begann das System zu haken. Und damit war mein grundlegendes Bedürfnis, eine funktionierende App zum Schreiben, die verlässlich speichert, nicht mehr gegeben. Einziger Vorteil, den Evernote noch heute hat: Die Basisversion ist nach wie vor gratis.
Etwas, das nicht selbstverständlich ist und was, in meinen Augen, der Haken an vielen Werkzeugen für Autoren ist.
Um Schreiben zu können, nicht nur unterwegs, gibt es eine Vielzahl an Programmen.
So weiß ich zum Beispiel von Zenwriter, einem Programm, dass es Autoren ermöglichen soll, sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren und sich von der Umwelt abzuschalten. Erreicht werden soll das mit einer spartanischen Benutzeroberfläche. Man hat nur ein weißes Blatt vor sich und, wenn man das möchte, eingespielte Zenmusik, die entspannend wirken soll. Gleichzeitig werden Ablenkungen durch Benachrichtigungen von Twitter und Freunden umgangen, in dem das Programm diese Benachrichtigungen unterdrückt. Der Autor ist also wirklich allein mit sich und dem weißen Blatt.
Ganz ähnlich wie Zenwriter ist Focus Writer. Auch hier soll die Wortanzahl durch die Konzentration auf das Wesentliche erreicht werden. Die Frage hierbei ist nur, warum man das nicht auch selbst machen kann, einfach mal den „Aus“ - Knopf drücken?
Doch nicht nur für die Autoren, die im entspannten Zustand schreiben wollen gibt es etwas. Für die, die die Angst im Nacken spüren müssen, um es fließen lassen zu können, gibt es auch Hilfe. Flowstate nennt sich das fiese kleine Programm, bei dem man zu Beginn angeben muss, wie lange man schreiben möchte und dann nur noch um sein Leben tippen kann. Tut man das nicht, dann kann man seinem Text nur noch beim Verblassen zusehen, bis er ganz vom Computerbildschirm verschwindet und die Arbeit eines ganzen Tages zunichte ist. Schreiben mit Gruseleffekt. Ist doch mal was?
Neben diesen spielerisch angehauchten Programmen gibt es natürlich noch die Standardprogramme: Papyrus, Scrievener, Ywriter…. und und und.
An Werkzeugen mangelt es also nicht, aber die Routine, beziehungsweise die notwendige Selbstdisziplin können sie nicht ersetzen. Deswegen noch mal: Durchhalten und verteidigen.
NaNo:
Jeden November findet er statt, der National Novel Writing Month. Es gilt 50.000 Wörter zu schaffen. Sind es 50.000 Wörter? Ich glaube es sind 50.000 Wörter. Teilnehmen kann jeder, der ein Projekt hat, das er entweder frisch anfangen oder aber einfach nur noch beenden möchte. Der Rest ist einfach. Man geht auf die Plattform und legt sich ein Benutzerkonto an und schon kann man in die Tasten hauen. Tut man das, „muss“ man jeden Tag die geschriebene Wortanzahl eintragen und kann so gut verfolgen, welchen Fortschritt man macht.
Wer eine Ausrede sucht, um jeden Tag schreiben zu „dürfen“, der kann den NaNo sehr gut dafür gebrauchen, um den plötzlichen Anfall von Wahnsinn zu erklären und so heimlich eine Schreibroutine entwickeln.
Denn wenn man der Familie sagt, es ist nur für die vier Wochen, ein Experiment, sind sie vielfach eher gewillt dem nachzugeben. Weil, es ist ja nur ein Experiment. Nach den vier Wochen ist alles beim Alten.
Oder nicht?
Der NaNo kann eine gute Einstiegsmöglichkeit sein. Selbst dann, wenn man nicht das Ziel von 50.000 Wörtern verteilt über die vier Wochen knackt. Man hat immerhin einen Monat lang geschrieben und sich angewöhnt in regelmäßigen Intervallen, bzw. zu festgelegten Zeiten zu schreiben. Wenn man diese Routine beibehält, ist man im grünen Bereich.
Ob nun 100 Wörter pro Tag oder Schreiben mit einer App, für welchen Weg man wählt, die entscheidende Sache ist Selbstdisziplin. Ohne die entsteht kein Erstentwurf.
Bleibt noch die Frage, wie lange man eigentlich braucht, bis man so einen Erstentwurf fertig hat?
Eine eindeutige Antwort auf die Frage gibt es nicht, weil es von verschiedenen Umständen, wie z.B. der Zeit zum Schreiben und auch dem Umfang des Entwurfs abhängt.
Um eine Vorstellung zu geben, nenne ich hier meine Erfahrungswerte:
Gehe ich von zwei Stunden Schreibzeit pro Tag, bei guter Verfassung aus, weiß ich, dass ich für einen 200 Seiten Entwurf ungefähr vier Monate und für einen 400 Seiten Entwurf circa sechs Monate brauche. Pro Jahr kann ich also ein Projekt durchführen, wenn ich mit einrechne, dass ich auch noch Zeit zum Überarbeiten brauche. Wie das dann ist, wenn man mit mehreren Projekten, einem Blog und den Alltag jonglieren muss und man seinen Fortschritt im Auge behält, das erzähle ich im nächsten Beitrag.