Nur Vancouver, nicht das Paradies, das die Reiseagentur draus macht.
Heute ist der erste Schultag. Ich habe mein Kind in der Schule abgeliefert, die Katze aus dem Schrank geholt, damit sie nicht schon wieder den ganzen Tag verschläft und hoffe ich werde nun wieder zu einem geregelten Arbeitsablauf zurückfinden. Und, um das zu unterstützen setze ich mich gleich an ein neues Lebenszeichen aus Vancouver. Diesmal aber mit einem etwas kritischeren Unterton, denn nach den Reaktionen, die mich nach den letzten Bildern erreichten, möchte ich kurz etwas klarstellen:
Vancouver ist nicht das Paradies.
Ich weiß, das wird so manch einem sauer aufstoßen und etliche von euch werden nun protestieren und sagen: „Aber die Bilder… Die sind doch toll.“
Ja, sind sie. Dennoch ist es so, dass Vancouver nicht das Paradies auf Erden ist und das ich nicht hierher gezogen wäre, hätte es sich nicht arbeitstechnisch ergeben. Um ehrlich zu sein, ich habe in den fast sechs Wochen Vancouver nichts gesehen, was ich nicht auch in Europa finden könnte. Halt Stop! Das stimmt nicht ganz. Ich habe etwas gesehen, was ich, zumindest in Deutschland, nicht gesehen hätte: Ameisen. In meinem Badezimmer.
Was klingt, wie ein Scherz, ist wahr und geradezu symptomatisch für den Zustand der Stadt.
Vancouver hat tolle Anlagen, man könnte viel aus der Stadt machen, doch das Potenzial wird nicht genutzt oder aber man lässt es verkommen und das ist der rote Faden, der das Leben hier so schwer macht. Die Kanadier haben Fantasien von tollen Häusern. Leider werden besagte Häuser dann schlampig gebaut. Türen passen nicht in die Rahmen, Fenster schließen nicht richtig …
Die Kanadier stehen auf dicke, teure Autos. Leider pflegen sie sie nicht, so dass sie verkommen und verfallen.
Auch, was das Essen angeht ist es das Gleiche. Alles hier ist größer und mehr, aber qualitativ schlechter, dafür aber drei mal so teuer, wie in Deutschland. Gutes Essen bedeutet für Kanadier vor allem viel, ganz viel. Gleiches gilt für den Alkohol. Mehr ist immer besser. Leider.
Vancouver ist also für alle die auf Genuss, Kultur, Sehenswürdigkeiten stehen nicht der „Place to be“.
Sehr willkommen fühlen sich hier hingegen Leute, die nicht ohne Starbuckskaffee, Wasserflasche oder Thermobecher in der Hand laufen können, weil sie sonst vermutlich das Gleichgewicht verlören, die den ganzen Tag in Turnschuhen und Sportklamotten rumlaufen wollen und auf Natur stehen. Denn davon hat die Gegend um Vancouver jede Menge zu bieten. Wer also Kajak oder Mountainbike fahren will, Berge erklimmen will oder Grizzlybären niederstrecken möchte, der wird sich hier so wohl fühlen wie der Mops im Paletot.
Deswegen überlegt euch, welcher Typ ihr seid, bevor ihr Vancouver zum Paradies auf Erden erklärt. Wenn ihr mehr der Typ Frau oder Mann seid, der gern ins Theater geht, sich Sehenswürdigkeiten ansieht und shoppen geht, um anschließend irgendwo im schönen Ambiente gut zu essen, dann seid ihr in dieser Stadt so falsch, wie ein Fisch bei einem Wüstenrennen und Vancouver und seine berühmte gelassene Art, die sich übrigens auf alle Bereiche des Lebens erstreckt, wird euch … überraschen, verwundern? Mir fällt gerade kein besseres Wort ein, denn sonst müsste ich ausfallend werden. Sagen wir mal so: Ich habe schon einige Gelegenheiten gehabt, wo mir auf der Zunge lag zu fragen, ob ich nicht lieber den Job machen sollte, weil es dann schneller und geordneter ginge.
So und jetzt lasse ich das hier so stehen. Egal, was der Rest der Welt darüber denkt.