Ein Weihnachtsmärchen für Lotte

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Hallo alle zusammen,

Weihnachten steht, unweigerlich, möchte man fast sagen, vor der Tür und ich dachte, weil ich wegen des ganzen Wohnungsstresses noch nicht wirklich Gelegenheit hatte mich auf Weihnachten einzustimmen, werde ich es jetzt statt mit der üblichen Masche (Plätzchen backen, Süßkram essen bis einem schlecht wird, Wham in Dauerschleife hören (müssen) und Dekoration auspacken und anbringen) es mit einer neuen probieren und euch auch daran teilhaben lassen. Wie bekannt ist, ist es knappe vier Wochen her, seit “Lotte in London” veröffentlicht wurde und irgendwie hat sie mich noch immer nicht ganz verlassen. Kann sie auch nicht, da ich im Januar eine Leserunde mit ihr auf Lovelybooks plane, und deswegen dachte ich, schaue ich einfach mal bei der Oberdiva vorbei und finde heraus, was im Hause Grottinger-Donoghue zu Weihnachten so geht. Also, viel Spaß mit Szenen aus Charlottes Weihnachtsmärchen, die euch hier bis zur Leserunde auf Lovelybooks begleiten werden.

Scene 1

Charlotte kniete im Wohnzimmer in einem der Sonnenflecken, welcher durch die Terrassentür fiel, musterte den dunkelgrünen Plastikbaum und ärgerte sich insgeheim.

Ganz egal was in der Werbeanzeige gestanden hatte, der Baum würde niemals als echt durchgehen, befürchte sie und kniff die Augen zusammen.

Ob sie ihn nicht doch überreden sollte in die Stadt zu fahren und einen Echten zu kaufen? Auf dem Weg könnte man am sogenannten deutschen Weihnachtsmarkt haltmachen und, hier glitt ihr Blick zu der muffig riechenden Umzugskiste neben ihr, in der Weihnachtsbaumkugeln in gold, rot und grün, sowie einiges altes Lametta lagen, sich bei der Gelegenheit nach etwas anderem umsehen. Die alten Kugeln passten nicht zur kühl modernen Einrichtung des Wohnzimmers. Wenn sie ehrlich war, überlegte Charlotte, wären weiß- oder silberfarbene Kugeln viel besser.

Sie fischte eine Kugel aus der Kiste, hängte sie in den Baum, und gab ihr einen Stups, dass das Gebilde aus hauchdünnem Glas leicht hin- und herschaukelte. Als ihr dabei eine Stelle auffiel, wo der grüne Lack abgeplatzt war, seufzte sie. Irgendwann würde sie die ersetzen müssen. Noch ein Grund mehr dem Weihnachtsmarkt einen Besuch abzustatten.

Sie wandte sich der Kiste zu, um eine weitere Kugel herauszuholen, als sie Thomas Stimme durch den Flur kommen hörte.

„Wreck the tree and blame the doggie, tralala la la la lahhhh …“

Charlotte kniff die Lippen zusammen.

„Tom“, tadelte sie ihn, ohne sich umzudrehen. „Das ist ein furchtbares Lied.“

Thomas kicherte nur. „Wäre dir die Version lieber?“, fragte er und hob an eine anstößigere Version des bekannten Weihnachtsklassikers zu trällern, die Charlotte erst rot werden und sich dann doch umdrehen ließ.

„Ernsthaft?“, fragte sie. „Hast du nichts anderes im Repertoire? Wenn Regan kommt will ich so was nicht mehr hören! Das sind keine Lieder für Kinder.“

Sein gemurmeltes „Was denkst du, von wem ich das habe“, überging sie mit einem Stirnrunzeln und lenkte das Gespräch lieber auf den Baum und den Weihnachtsschmuck.

„Was hältst du davon?“

„Nett.“

„Nett?“ Charlotte kam auf die Füße, trat einen Schritt vom Baum weg und betrachtete die zwei Kugeln, die im grünen Plastikdickicht hingen.

„Nett“, wiederholte sie.

„Ja, was denn?“, fragte er und zog sie an sich. „Ein Weihnachtsbaum ist immer nett.“

Charlotte versuchte ihn von sich zu schieben und sagte: „Ich will nicht, dass es nett ist. Ich will, dass es atemberaubend aussieht. Regan kommt heute Abend zum ersten Mal nach einem halben Jahr wieder nach Hause, da will ich, dass es perfekt ist! Nicht nett.“

Thomas legte den Kopf in den Nacken und gab ein sein Stakkato Lachen zum Besten, dass Charlotte in den letzten Monaten so gut wie nie von ihm gehört hatte. Was wohl daran lag, dass die letzten Monate nicht ganz einfach gewesen waren und ihnen beiden viel abverlangt hatten. Doch nun war Weihnachten. Und Regan, ihre Tochter, würde für die Weihnachtsferien nach Hause kommen, weswegen Charlotte vor lauter Aufregung schon seit Tagen kaum schlafen konnte. Dieses Weihnachten war ihr erstes Weihnachten als Familie und es musste perfekt sein. Keine angebrannten Plätzchen, keine angeschlagenen Weihnachtskugeln oder angeblich täuschend echt aussehenden Plastiktannen würden sie daran hindern ein Fest auszurichten, an das jeder der drei Beteiligten sich noch in Jahren erinnern würde.

„Schatz, ich bin sicher, Regan wird den Baum lieben“, sagte Thomas und lächelte sie an.

„Den Plastikbaum“, knurrte Charlotte.

„Der täuschend echt aussieht.“

„Wer’s glaubt, wird selig“, sagte Charlotte und warf dem Baum einen giftigen Blick zu. „Meinst du nicht ich sollte die alten Kugeln gegen neue tauschen? Ich habe gehört auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Leicester Square soll es einen tollen Stand geben.“ Sie zog einen Schmollmund und sah Thomas flehend an, was ihm nur wieder ein Lachen entlockte. „Und wir könnten einen romantischen Spaziergang machen, Glühwein trinken“, fügte sie hinzu.

„Tut mir leid, Darling, du kannst noch so niedlich gucken, doch ich kann heute nicht.“

Charlotte versteifte sich. „Wie? Du kannst nicht?“

„Tut mir leid, ich habe noch einen …“, er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, „Termin.“

„Nicht noch so eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Meinst du nicht, du hast genug Geschenke und Essen an Obdachlose verteilt? Ihr Briten solltet euch ein anderes Sozialsystem zulegen oder eine andere Auffassung von Wohltätigkeit, dann hättet ihr am Jahresende nicht so viel zu tun! Ernsthaft! Ihr seid so wohltätig, wie die Deutschen gläubig. Alle Jahre wieder an hohen Feiertagen, um das schlechte Gewissen zu beruhigen und weil es Tradition ist, aber mehr steckt nicht dahinter.“ Sie zog die Stirn kraus.

Er lachte nur.

„Außerdem, was ist mit Regan?“

„Oh, ja.“ Er machte ein verlegenes Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch die Locken, die im durch die Terrassentür einfallenden Licht rötlich schimmerten.

„Sag nicht, das hast du vergessen, dass wir sie abholen wollen?“

Er wischte sich mit einer Hand über den Mund und Charlotte konnte die hervorstehenden Knöchel sehen, die seine Hände knochiger, manchmal sogar ausgemergelt erscheinen ließen.

„Ja, das. Ich könnte einen Fahrer…“

„Oh nein!“, Charlotte drohte ihm mit dem erhobenen Zeigefinger. „Nicht so was. Wir hatten eine Abmachung. Weihnachten als Familie. Und dass wir Regan von der Schule holen gehört dazu.“

„Na ja“, lenkte er ein. „Ich könnte nach meinem Termin vorbeikommen, dich abholen und dann fahren wir gemeinsam dahin. Oder glaubst du, du könntest mich in der Stadt treffen? Gegen sechs? Bei James?“

„Ja, sicher“, begann Charlotte, biss sich aber auf die Lippen, als ihr etwas einfiel und schüttelte den Kopf. „Nein. Geht nicht. Ich muss noch…“, sie blickte sich suchend im Wohnzimmer um.

„Du musst was?“

„Nicht wichtig.“ Charlotte schüttelte erneut den Kopf. „Ich muss nur noch … Du musst allein fahren.“ Sie befreite sich aus seiner Umarmung und hastete zur Küche hinüber. Sie öffnete den Kühlschrank und starrte hinein.

Thomas, der im Wohnzimmer stehengeblieben war, machte eine Geste empörten Unverständnisses. „Was musst du?“

„Nichts. Ist nicht weiter wichtig. Ich muss es nur machen. Jetzt.“ Charlotte zog eine Packung Eier, dann die Milch aus dem Kühlschrank, lud sie auf dem Küchentresen ab, wobei sie seinem misstrauischem Blick nicht mehr ausweichen konnte. Sie griff nach der Schüssel, die im Abtropfbecken gestanden hatte und schlug drei Eier hinein.

„Alles in Ordnung?“, fragte er und Charlotte kommentierte den besorgten Ton mit einem Zungenschnalzen. Als sie die Milch in die Schüssel kippte, schwappte ein Teil am gegenüberliegenden Schüsselrand hinaus, doch sie bemerkte es nicht und zog einen Rührlöffel aus dem großen Weckglas auf dem Tresen.

„Warum triffst du mich nicht nachher bei James?“

Charlotte, die Schüssel gegen die Brust gedrückt, fuhr mit dem Holzlöffel durch die Eier-Milchmischung, dass sie in der Schüssel schwappte.

„Weil ich nicht kann. Siehst du doch, was noch alles zu machen ist.“ Sie deutete mit dem tropfenden Löffel auf den ungeschmückten Baum.

Thomas hob abwehrend die Hände. „Schon gut, wie du willst. Fahre ich allein. Wenn ich es mir recht überlege, ist das auch viel besser, auf die Art …“ Er beendete den Satz nicht, sondern sagte: „Mehr Spaß für Regan und mich.“, bevor er sich mit einem fröhlichen Lächeln und einem laut geschmetterten „Wreck the tree and blame the doggie“, rückwärtsgehend aus der Küche schob.

„Tom!“ Mit einem Klatschen fiel der Holzlöffel in die Eier-Milch-Mischung. „Ähhh!“ Charlotte verzog den Mund und wischte sich die Flüssigkeit aus den Augenbrauen. „Klasse“, seufzte sie, als sie Thomas schallendes Lachen hörte.

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Vancouver - Vier Monate