Vancouver - Vier Monate

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Inzwischen sind es vier Monate, seit wir in Vancouver gestrandet sind und der Jetlag und die erste Zeit der Desorientierung und der Ausflüge ist vorbei, deswegen dachte ich wird es Zeit eine kurze Zwischenmeldung zu geben, was so passiert ist, seit dem letzten Post und seitdem der „Alltag“ eingekehrt ist, falls man das, was hier abgeht, Alltag nennen kann.

Was soll ich sagen? Bis jetzt hat sich Vancouver nicht von seiner netten Seite gezeigt. Im Gegenteil, es ist der reinste Albtraum und der pure Stress. Abgesehen von den üblichen Startschwierigkeiten, die man nach jedem Umzug erwarten kann, gibt es einige richtig große Punkte, die für Dauerstress und Ärger sorgen und die man mit etwas mehr Verstand und einer klareren Gesetzeslage auf der kanadischen Seite verhindern könnte.

Schule

Zum einen ist da das große Thema Schule. Die Tochter, fast 13 Jahre alt und schulpflichtig, hätte hier, keine 20 Minuten entfernt, auf eine Primary School gehen sollen. Es wäre eine sehr gute Schule gewesen, da sie in einem reichen Viertel liegt und in Kanada läuft es, wie in den Staaten. Desto reicher das Viertel um die Schule, desto besser die Ausstattung und die Lehrer.
Auch der Schulweg wäre toll gewesen, denn die Schule ist zu Fuß erreichbar, der Schulweg ist denkbar einfach, immer geradeaus am False Creek entlang, das Kind hätte volle Bewegungsfreiheit gehabt.

Doch dann der Hammer: Obwohl wir der Schule vom Schulamt zugeteilt wurden, lehnte diese uns ab. Was uns aber zuerst nicht mitgeteilt wurde. Erst eine Woche nach Schulbeginn und nachdem ich mehrfach in der Schule angerufen hatte und unangemeldet dort aufgetaucht war, erfuhren wir dies. Nebst der Information, dass wir an eine andere Schule verwiesen worden wären, in deren Bezirk wir zwar nicht lägen, die uns aber trotzdem gern aufnähme. Wer’s glaubt.
Lord Roberts, welche die besagte Ausweichschule war, nahm uns natürlich nicht freudig auf. Eher zähneknirschend. Und von da an ging es nur noch abwärts, denn Lord Roberts entspricht in jeder Hinsicht dem Bild, dass man im Kopf hat, wenn man an amerikanische Ghettoschule denkt. Vom abgewrackten Gebäude, über die ungebildeten Schüler bis hin zu den uninteressierten Lehrern.

Das Kind war exakt 2 Monate dort und verbrachte, wenn es eine geschäftige Woche war, satte drei Tage im Klassenzimmer.
Der Rest der Tage ging drauf für sinnlose Field Trips (Klassenausflüge), die nichts mit Lehrtätigkeit zu tun hatten. Mein Favorit? Unbestritten der Ausflug der gesamten Klasse in den Apple Store, weil der Lehrer ein neues iPad brauchte und Apple gerade wieder ein neues Gerät herausgebracht hatte und dachte, es wäre doch ganz hilfreich die Kinder zu einer getarnten Verkaufsveranstaltung einzuladen, bei der sie das neue Ipad ausprobieren und hinterher ihren Eltern die Ohren volljaulen können, was sie zu Weihnachten haben wollen. So geht Schule in Amerika, sorry, Kanada.

An den Tagen, wo die Kinder in der Schule waren, wurden sie mit Comics und Ausmalbildern ruhiggestellt. Und nein, ich rede nicht von Erstklässlern, sondern einer siebten Klasse.
Nach zwei Monaten hatte ich die Nase voll, selbst das Kind langweilte sich, eine Lösung musste her.
Schulwechsel? Naheliegend, aber hier leider nicht machbar, da wir als Ausländer an die zugewiesene Schule gebunden sind.

Einziger Ausweg: Homeschool.

Mit diesem Modell ist das Tochterkind offiziell noch in Lord Roberts angemeldet, wird aber nicht vom dortigen Lehrpersonal unterrichtet. Stattdessen tritt es seit dem 01.11 pünktlich um 7:30 Uhr seinen Unterricht im Wohnzimmer an und wird, dank der ILS, per Fernstudium nach dem Schulcurriculum Baden-Württembergs unterrichtet. Die Bücher, Chemie -und Biologiesachen, sowie andere notwendigen Unterlagen kommen aus Deutschland. Jede Stunde ist von einem Lehrer durchgeplant worden, sodass man als Elternteil nur den Anweisungen zu folgen braucht. Es gibt Klassenarbeiten und Tests, mal schriftlich, mal mündlich, wie an jeder normalen Schule auch, die von dem Tochterkind bearbeitet werden und von uns anschließend eingescannt und per Mail an die ILS nach Deutschland verschickt werden müssen, so sie dann an die jeweiligen Lehrer weitergeleitet und ausgewertet werden. Am Ende des Schuljahres gibt es ein Zeugnis, das sogar von den Schulen in Deutschland anerkannt werden muss. Die schulische Laufbahn ist also gesichert, das Kind muss keine Extrarunden drehen, nur weil sie im Ausland war, sollten wir nach Deutschland zurückkehren. Der Unterricht selbst dauert 30 Minuten, wir aber geben unserer Tochter aufgrund ihrer Dyslexie (Lese- und Rechtschreibstörung, für alle deutschen Leser) 45 Minuten, da wir einberechnen, dass sie für das Lesen und Verstehen von Texten manchmal etwas länger braucht. Trotzdem reicht der Vormittag für den Unterricht aus, dass am Nachmittag noch Zeit ist, die Freunde aus der kanadischen Schule zu treffen oder aber einem Hobby nachzugehen.

Für das Kind hätte ich mir eine bessere Schule gewünscht, damit sie sich schneller und einfacher in die Gesellschaft des Gastlandes integrieren könnte, schneller und einfacher Freunde finden könnte. So aber muss sie versuchen den Kontakt zu anderen Kindern privat aufzubauen und zu halten, sei es über alte Kontakte aus den zwei Monaten Schulzeit oder aber über ein Hobby. Mir ist bewusst, dass Schule zu Hause, nur mit Mama und Papa nicht das Gelbe vom Ei ist, aber wenn ich im Hinterkopf behalte, dass ich, zum Glück, wie ich derzeit sagen muss, nicht vorhabe hier den Rest meines Lebens zu verbringen, so ich das verhindern kann, dann ist es besser so, als sie auf der Ghettoschule versauern zu lassen.

Abgesehen von dem Mangel an Qualität der Schule kommt noch die… Ja, wie soll ich es nennen? Die Hirnrissigkeit des kanadischen Schulsystems? hinzu.
Wie bereits erwähnt, wirklich Unterricht fand nie statt. Was auch nicht wundert, wenn man sich überlegt, dass freie Entfaltung und Selbstbestimmung massiv über das Erlernen von Fakten, Fähigkeiten und Fertigkeiten gestellt werden. Konkret ausgedrückt bedeutet es, dass die Kinder jede Freiheit haben, die sie haben wollen. Sie entscheiden was, wann, wie und wo sie lernen, denn nur das Kind entscheidet, was es später werden möchte. Das Kind weiß also, was es braucht und was es nicht braucht, selbst dann, wenn es erst zwölf Jahre alt ist.
Lehrer und Eltern sind nur dazu da, dieses zu unterstützen. Natürlich nicht im Sinne von Kritik und Führung. Mehr im Sinne von Lob, Bestätigung, noch mehr Lob und Daddy’s Geldbeutel. Das geht so weit, dass die Schüler ihre Leistung selbst einschätzen und der Lehrer diese Einschätzung akzeptiert und übernimmt. Dass man Kindern ihre Fehler aufzeigen sollte, ihnen Tipps und Struktur geben sollte… Ist gänzlich unbekannt und unerwünscht.

Ebenso wie Fakten.

Die Tochter, die in Deutschland als verträumt eingeschätzt wurde, fiel hier mit ihrem großen Allgemeinwissen auf. Negativ. Nicht zuletzt, weil sie es sich nicht versagte, den Lehrer zu korrigieren, wenn er offensichtliche Fehler machte.
Sollte irgendwer vorhaben sein Kind in die kanadische Schule zu geben, bloß nicht. Es sei denn, man ist Fan einer ganz verschrobenen Waldorferziehung. 

Wohnung

Auch das Dach über unserem Kopf stellt sich bisher als nicht so prickelnd dar. Dass Wohnen in Vancouver Downtown teuer werden würde, war klar, aber so teuer und dann mit einer derart niedrigen Qualität, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Im Großen und Ganzen ist der Ausdruck Luxusruine bei unserer Bude sehr passend.
Die Miete ist mit 3.200 Dollar pro Monat selbst für hiesige Verhältnisse happig und die Mängel, die bei Einzug vorhanden waren und die innerhalb von zwei Wochen behoben werden sollten, sind nach wie vor nicht beseitigt.

Stattdessen kamen weitere hinzu.
So dauerte allein der Einbau des Herds zwei Monate.

Die neuen Jalousien? Dreieinhalb Monate und die Reparatur des kaputten Kamins auch dreieinhalb Monate. Wobei, so ganz in Ordnung ist der noch nicht, denn oberhalb des Kamins klafft immer noch das Loch, das in die Wohnzimmerwand gehauen werden musste, um den Lüfter des Kamins zu tauschen. Wann das zugemacht wird, weiß der Geier, doch das Loch da stört mich nicht so sehr, wie die undichte Doppelverglasung der bodentiefen Fenster, die dazu führt, dass mindestens drei Seiten eines Raums reine Kältebrücken sind. Abgesehen davon, dass sie jeden Morgen und aufgrund des nasskalten Wetters der letzten zwei Wochen fast dauerhaft beschlagen und voll Kondenswasser sind, was zur Schimmelbildung in jedem Raum führt.
Wer nun denkt er kann eine Mietminderung machen, sich etwas Neues suchen und einfach ausziehen, der ist auf dem Holzweg.
Das kanadische Mietrecht schützt den Vermieter, nicht den Mieter und Eigentum verpflichtet hier zu fast gar nichts.

Infolge dessen müssen Mietminderungen vom Vermieter genehmigt werden. Behält man, trotz Ablehnung, einen Teil der Miete ein, weil das Mietobjekt schlicht nicht den ganzen Mietpreis wert ist, kann der Vermieter einen umgehend auf die Straße setzten und noch Schadensersatz fordern.

Einfach was Neues suchen und kündigen geht aber auch nicht, denn Verträge werden hier bis auf den letzten Buchstaben, sehr ernst genommen. Also, wehe man verletzt sie, indem man sich nicht an die vereinbarten Spielregeln hält. Zudem gelten sie gern für ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre.

In unserem Fall ein Jahr. Vorher kommen wir nicht raus. Beziehungsweise raus schon, aber nicht weg von der teuren Mietzahlung, da wir auf ein Jahr vertraglich gebunden sind.
Im Klartext heißt das, wir zahlen eine horrende Wuchermiete für eine Luxusruine, mit einer schönen Aussicht, und haben kein Druckmittel an der Hand, um die Vermieter zu Reparaturen und Maßnahmen zu bewegen.

Das bringt Laune. Willkommen in Kanada, dem freundlichsten Land der Erde.

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Ein Weihnachtsmärchen für Lotte

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Lotte in London in der Vancouver Bibliothek