Surley your joking Mr. Feynman!

Das ist der Titel eines Buches geschrieben von Ralph Leighton und Richard Feynman. Feynman, Nobelpreisträger und bekannter Physiker, beschreibt in diesem Buch eine Vielzahl von Begegnungen mit seinen Mitmenschen, die in Anbetracht seiner Lebensgeschichte gern eben jenen zitierten Ausruf von sich gaben. “Surely you must be kidding Mr. Feynman!”. Denn sein Leben und seine Karriere waren so unglaublich, dass einem Normalsterblichen nichts anderes übrig blieb als an einen Scherz zu glauben.

Eben jenes Momentum des Zweifels angesichts des Unglaublichen, dass mir jedoch als Realität verkauft wird und eben jenes Unverständnis eines “ Normalos” gegenüber etwas, das von seinem Denken abweicht lässt mich gern und oft eben diesen Spruch zitieren. Diesmal ist es wieder so weit, dass ich es leider sagen muss. Und es tut mir leid, wenn ich nerve. Ich verzeihen jedem, der die kommende Tirade auf die Dummheit unserer Bildungsinstitutionen und Gesetzgebung nicht lesen möchte. Wenn sie jetzt abschalten, kein Problem, ich wünschte ich könnte es auch tun. Leider steht für mich zu viel auf dem Spiel, als das ich mich drücken könnte.
Nein, um es klar zu machen, in dem Post geht es nicht um Bücher. Es geht viel mehr um den Umgang unserer Gesellschaft mit jenen, die Schwierigkeiten haben sie entweder zu lesen, sie zu schreiben oder aber die gleich ganz in Wort und Schrift versagen.

Es geht um Dyslexie und wie sie hierzulande aus gesessen und ignoriert wird. Denn anders kann man das nicht nennen, was da in unzähligen Schulen vor sich geht. Dyslexie, im deutschen Sprachraum irrsinnigerweise als Leserechtschreibschwäche  oder auch als Leserechtschreibstörung  betitelt, ist

 eine Beeinträchtigung der Lese und Rechtschreibfähigkeit , welche nicht auf intellektuelle Einschränkungen, nicht korrigierte Seh- oder Hörstörungen, mangelhafte Beschulung oder aber psychische, neurologische oder motorische Störungen zurück zu führen ist. 

So die Definition des Bundesverbandes der Leghastenie und Dyslexie.
Soviel zur trockenen Erklärung. Doch was heißt das in der Praxis und vor allem: Was bedeutet das für Betroffene und sein Umfeld?

Ganz einfach: Es heißt wir sehen ein Kind welches sich entweder im lesen oder im schreiben schwer tut. Oder in beidem. Egal was die Lehrer und die Eltern probieren, es scheint einfach nicht schreiben oder lesen lernen zu wollen. Nicht durch Drohungen, Schmeicheleien oder stundenlanges üben. Alles perlt an ihm ab, wie Dreck an einer Lotusblume. Soweit zum ersten Teil.
Nun zum zweiten: Was heißt das für das Umfeld und den Betroffen? In erster Linie Kampf und Verzweiflung. Zumindest so lange bis klar wird, dass das Kind nicht blöd oder bockig ist, sondern nicht anders kann. Das ist jedoch nur der Fall, wenn das Umfeld motiviert genug ist nach anderen Gründen als einem Mangel an Intelligenz zu suchen. Wenn nicht landet besagtes Kind einfach auf der Sonderschule. Im Idealfall jedoch wird es mit einer LRS diagnostiziert und …. Ja und dann was? Happy End und Eierkuchen? Weit gefehlt! Denn auch mit Diagnose ist der Kampf noch lang nicht beendet. Im Gegenteil jetzt beginnt er erst Recht.

The Empire Strikes back:

Gleich des Bauplans eines Star Wars Films folgt nach der Diagnose ein andauernder Austausch von “Kampfhandlungen”, “ Kriegserklärungen” und jeder Menge Hinterhalten. Abgesehen davon, dass es in der deutschen Rechtsprechung in Bezug auf Legasthenie und den Umgang mit ihr auch so viele schwarze Löcher gibt wie im All. Nur mit dem Unterschied, dass diese Wurmlöcher nicht als Abkürzung für die Enterprise funktionieren.  
Im Klartext heißt das, der Betroffene steht mit seinem Schein in der Hand da, doch kaufen kann er sich nichts dafür. Die Institution Schule, theoretisch sein Freund und Helfer bei dem Erwerb von basalen Fähigkeiten wie lesen und schreiben, stellt sich quer. Sicher, sie hat einen Bildungsauftrag und kein Kind darf verloren gehen,aber, gleichzeitig sind Schule und Lehrer heillos über fordert. Bei mehr als zwanzig Schülern pro Klasse können keine Exteawürste gebraten werden. Oft genug weiß das Lehrpersonal nicht mal was Dyslexie ist. Gleichstellungsgesetz und Verwaltungsvorschriften hin oder her.
Das einfachste was ein Betroffener durchsetzen kann (Vorausgesetzt er leidet an Lese- RechtschreibSTÖRUNG, sorry, aber für die Schwäche kriegen sie nicht mal neun Blumentopf!) ist eine zurückhaltende Bewertung seiner Rechtschreibung. Was heißt, die Fehler dürfen nicht in die Benotung einfließen. Eine schöne Maßnahme, die den Kindern erstmal Luft und das eine oder andere Erfolgserlebnis beschert. Endlich mal keine Fünfer mehr im Diktat!
Doch kaum atmet man auf ist er da. Lord Vader in Form von Gummi Paragraphen! In der weiterführenden Schule, teilweise ab der fünften Klasse, ist Schluss mit lustig und Nachsicht. Denn zumindest in Baden- Württemberg gilt, dass laut Verwaltungsvorschrift vom 22.08.2008 des Kultusministeriums
in den gymnasialen Jahrgangstufen keine Rücksicht mehr genommen werden kann. In allen anderen Ländern ist spätestens ab dem Abi Schluss mit Hilfen jedweder Art. Selbst wenn die Länder und die Schulen verpflichtet sind sich an Paragraph drei des BGB und an Paragraph 38a des achten Sozialgesetzbuches zu halten, können sie machen was sie wollen. Glauben sie nicht? Bundesrecht bricht Landesrecht meinen sie?

Ja, tut es. Nur, in den Bundesgesetzen steht für die Länder keine feste Handhabung. Es steht lediglich geschrieben, dass die Schulen tätig werden müssen. Wie aber, bleibt den Ländern über lassen, denn Bildung ist Landessache. Einzige Einschränkung: Die Hilfen müssen wirksam sein. Aber wer meint das sei das Mirakel des Hauses Brandenburg der träumt. Die Wirksamkeit der verordneten Maßnahmen wird von der jeweiligen Schulkonferenz überprüft. Was nur bedeutet, dass in der Praxis der Bock zum Gärtner gemacht und sich viele Dyslexiker in einem für sie ungeeigneten Deutsch Förderunterricht wiederfinden. Einziger Ausweg: Klagen, kämpfen und hoffentlich gewinnen. Jeder Fall in dem ein Dyslexie Kind Hilfe benötigt, muss individuell entschieden und jede Maßnahme eingeklagt werden. Etwas das kostspielig und kompliziert ist.
Warum all das?

Nun, weil die Schulen, der Gesetzgeber und die Gesellschaft unter der falschen Annahme stehen, dass Dyslexie sich mit dem Alter “verwächst”! Ebenso gut konnte man behaupten man wechsle mit den Jahren radikal seine Augenfarbe oder könne fliegen!

All diese Annahmen sind Teil der tausend Mythen und Gerüchte, die die Dyslexie umgeben. Und es würde den Rahmen dieses Blogposts bei weitem sprengen sie alle zu benennen und zu erklären. Mein Anliegen hier ist rein persönlich. Ich möchte mir Luft machen, darüber berichten und aufmerksam machen, wie wir mit dieser nicht ganz kleinen Gruppe Menschen umgehen und was für Hürden ihnen in den Weg gestellt werden. Wenn man einem Gelähmten den Rollstuhl klaut, schreien wir alle. Nur bei Dyslexie schreit keiner. Es sei denn um zu hänseln und zu stigmatisieren.

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… mit Verspätungen muss gerechnet werden…

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