Bin ich fertig? Alles hat ein Ende nur das Schreibprojekt nicht?
Wir schreiben und schreiben. Investieren Stunden, Tage, Wochen in unsere Schreibprojekte, alles, um unsere Geschichten auf den Weg zu bringen und früher oder später wird die Frage aufkommen: Ist es so weit? Ist es fertig? Bin ich fertig?
Ja, wir sind ganz bestimmt fertig. Fix und fertig. Mit unseren Nerven. Und das mehrmals auf dem Weg vom Erstentwurf zum Buch! Aber, Scherz beiseite, es geht ja diesmal nicht um unsere Nerven, sondern um das Schreibprojekt, das wir geschrieben haben, das wir verbessert haben und noch mal verbessert haben um schlussendlich vor eben dieser Frage zu stehen: Ist es jetzt, nach all diesen Stunden und all der Arbeit fertig? Kann ich, könnt ihr, euer Projekt jetzt veröffentlichen? Oder an einen Verlag abgeben? Wenn ja, woher wisst ihr das dann? Woran macht man das fest? Was passiert, wenn man noch kein Gefühl dafür hat, dass das Projekt fertig ist oder nicht?
Zwei Dinge können passieren.
Version eins: Ihr schickt etwas in die Welt, was noch nicht fertig ist. Das ist dann der Fall, wenn eure Geschichte noch voller Plotholes, Logik- und Rechtschreib- und Grammatikfehler ist. Das ist eine Geschichte, bei der die Spannungskurve aussieht wie die Wirbelsäule eines Skoliosepatienten, bei der die Figuren eindimensional, langweilig, ihr Handeln nicht nachvollziehbar sind.
Wenn ihr das auf das Publikum loslasst, wird was passieren?
Ja, die Leute werden nicht begeistert sein. Also nicht so begeistert, wie sie sein könnten, hätten wir das Projekt vor der Veröffentlichung noch einmal überarbeitet. Und für euch heißt das konkret, dass die Rückmeldungen die ihr bekommt … Ziemlich entmutigend sein werden. Unter Umständen so sehr, dass ihr darüber nachdenkt den Laptop in den Müll zu donnern, das Projekt gleich hinterherzuwerfen und das war es mit der Autorenkarriere.
Das ist das schlimmstmögliche, was euch passieren könnt, wenn ihr ein unreifes, ein nicht fertiges Projekt auf die Menschheit loslasst.
Nun zu Version zwei.
Manchmal, also nicht dass mir diese Version je passiert wäre, manchmal passiert aber auch eine etwas weniger schlimme Version von dem eben geschilderten Szenario.
Ihr gebt euer unfertiges Projekt ab, es hagelt Kritik, aber in all der Kritik gibt es eine Stimme, die sagt, dass trotz all der Fehler, die das Projekt noch aufweist, es auch Potenzial hat. Welches man herauskitzeln kann, wenn man, also ihr, das Ding überarbeitet. In der Version hättet ihr immer noch ein unfertiges Projekt auf die Menschheit losgelassen, aber trotz all dem Negativen gibt es noch etwas Positives, was euch hilft weiter zu machen, ja was euch sogar am Ende wachsen lässt. Alles in allem eine positive Bilanz. Wenn auch erst nach einem sehr steinigem Weg.
So, das sind die zwei Dinge, die passieren können, wenn ihr ein unfertiges Projekt veröffentlicht. Version Eins beendet euere Autorenkarriere und beschert euch massivem Selbstzweifel. Die andere führt zu vorübergehende Selbstzweifel und einer gelernten Lektion. Zugegeben einer gelernten Lektion die ihr sicher gern vermieden hättet, wenn ihr nur die Antwort auf die Frage wüsstet, wann so ein Projekt beendet ist.
Ja, nur Geduld dazu kommen wir doch. Vorerst möchte ich das andere Extrem klären. Nämlich die Frage, was ist, wenn euer Projekt beendet ist und ihr trotzdem weiter macht?
Ganz einfach: ihr werdet nie fertig.
Meiner Erfahrung nach kann man immer irgendwo etwas finden an dem man etwas aussetzen kann und das man entsprechend verändern will.
Aber, und das ist die entscheidende Frage, muss man es deswegen auch ändern?
Vielleicht kann die Geschichte durchaus mit ein oder zwei Fehlern leben? Ich mein, nichts und niemand ist perfekt. Warum also sollten Geschichten es sein? Nein, meiner Erfahrung nach verzeihen es einem die Geschichten und die Menschheit, wenn ein Projekt nicht wirklich durch und durch perfekt ist. Ein Projekt was hingegen nie abgegeben wird? Das hilft euch hingegen nicht weiter und das verzeihen einem die Leser auch nicht.
Warum wir trotzdem immer damit hadern Projekte abzugeben und oft erklären, dass sie noch nicht fertig sind? Ganz einfach, weil wir die böse Erfahrung von oben umgehen wollen. Deswegen schreiben und schrauben wir wie besessen an unseren Geschichten herum, bis wir das letzte bisschen Leben heraus korrigiert haben. Bis sich die Versionen der Geschichte in unserem Laptop stapeln.
Und das ist noch die gute Version des Ganzen.
In der richtig miesen Version schrauben wir so lange an dem Ding herum, bis wir es nicht besser sondern schlimmer machen. Oder aber bis wir letzten Endes frustriert aufgeben, weil wir irgendwo unterwegs die Übersicht verloren haben, weil wir es leid sind uns immer und immer wieder in die Geschichte einzuarbeiten, weil wir gesagt haben, wir wollten das Ding dieses Jahr fertig machen, ganz bestimmt und es hat schon wieder nicht geklappt. Leute, es gibt nur ein bestimmtes Maß an Disziplin, dass wir mit all unseren Verpflichtungen aufbringen können!
Der einzige Weg, wie das noch schlimmer werden kann ist, wenn ihr von dieser ewigen Korrekturschleife nicht nur eine sondern mehrere habt. Weil ihr an mehreren Projekten arbeitet und alle stecken in der gleichen Hölle fest …
Was dann der Punkt ist, an dem ich froh bin, Autorin und nicht Bildhauerin zu sein. Andernfalls könnten wir uns vor Statuen, Fresken, oder was ein Bildhauer sonst so in seiner Werkstatt hat, nicht mehr bewegen, so viel Zeug stünde da halbvollendet herum.
So, aber wie umgeht ihr und auch ich diese möglichen Szenarien, die alles andere als anziehend sind?
Woran merkt man denn, dass es genug ist, dass man das Projekt abgeben kann? Gibt es einen bestimmten Zeitpunkt? Kommt die holde Muse vorbei und brät euch eins mit dem Baseballschläger über?
Nein, so eindeutig und einfach ist es leider nicht. Doch fangen wir ganz vorn im Entstehungsprozess einer Geschichte an
Der Erstentwurf.
Wenn ihr es mit einem Erstentwurf zu tun habt ist die Sache noch ziemlich eindeutig.
Ihr habt alles runtergeschrieben, was euch zu der Geschichte einfällt, ihr setzt „The End“ unter das Ding, voila, ihr seid fertig.
Allerdings….
Gebt ihr den Entwurf so nicht raus. Weil es eben genau das ist, ein Entwurf. Und den gibt man nicht raus, es sei denn an sehr sehr gute Freunde, denen ihr vertrauen könnt und ihr wollt, dass jemand die Geschichte in dem Stadium zu Gesicht bekommt. Aber auf die breite Masse lasst ihr den Erstentwurf nicht los, denn noch ist die Geschichte voller Fehler. Und wenn es nur Fehler in der Rechtschreibung sind. Also, nichts mit „The End“. Nicht wirklich. Was folgt ist
Die Überarbeitung Nr. 1
Bei der es sich eigentlich nicht nur um eine Überarbeitung handelt, sondern eigentlich könnte ich sagen Überarbeitung Nr. 1 enthält schon zahlreiche Überarbeitungen in sich, denn bei dieser Überarbeitung versucht ihr so viel wie möglich zu bereinigen. Figuren, Plotholes, Spannung, aber auch Rechtschreibung und auch Kapitelsetzung. Natürlich könnt ihr nicht alles auf einen Schlag machen. Daher kleiner Tipp aus meiner Erfahrung: zuerst konzentriert ihr euch darauf alles „inhaltliche“ also alles, was die Figuren und Plotholes, die Spannung betrifft, zu bereinigen, danach rückt ihr die Kapitel zurecht und dann ganz zum Schluss, wenn ihr nichts mehr schreiben oder streichen müsst, kommen die Rechtschreibung und Grammatik. Es bringt euch nichts, wenn ihr über jeden Abschnitt x Mal drüber gehen müsst, weil ihr noch etwas an einem Dialog ändert oder aber weil ihr einen Absatz umschreibt.
Und dann? Ist es dann fertig?
Jein. Ich selbst habe schon Projekte in dem Stadium zum Abschuss, also ich meine zur Veröffentlichung, freigegeben, aber bei vielen Kolleg*innen schließt sich hier die Phase mit Testlesern (auch Betaleser) genannt an.
Was die genau sind und was man dann mit dem macht, dass sie von sich geben, könnt ihr gern im Archivartikel zur Betareihe oder aber in einem der Artikel nachlesen, die sich der Überarbeitung eines Textes widmen.
Kommen wir hier wieder zu der dringenden Frage: Ist das fertig? Kann das so weg?
Nun, ich für meinen Teil sage dazu manchmal ja. Manchmal gebe ich Projekte in dem Stadium frei.
Andere wiederum tun das nicht und warten die Rückmeldungen der ersten Tester ab und setzen sich dann noch mal dran. Aber spätestens wenn diese Phase beendet ist, kommt die Frage wieder auf: Kann das freigegeben werden? Ist das fertig?
In dem Fall würde ich sagen: Ja. Jetzt ist es zweifelsfrei fertig.
Denn nun haben wir, habt ihr, alles in euer Macht stehende getan um die Geschichte so gut wie möglich zu machen. Das ist der Punkt ab dem ihr euch eingestehen müsst, mit eurem Wissen, euren Mitteln, eurer Kenntnis könnt ihr es nicht mehr besser machen. Ihr seht keinen Weg mehr auf dem ihr noch etwas zum Besseren ändern könntet. Also…
Gebt ihr es frei.
Also….
Ist es fertig.
Bis ihr eurer fertiges Projekt das nächste Mal zur Hand nehmt und nachdem Monate oder Jahre vergangen sind, seht ihr es auch noch mal an und stellt fest: diesen Satz hätte man streichen können. Der Dialog geht nicht, den muss man umschreiben und das Kapitel, der Absatz? Schrecklich!
Denn eigentlich sind Schreibprojekte nie wirklich fertig. Jeder Autor wird immer Dinge finden, die er im Nachhinein anders machen würde.
Dennoch kann man festhalten, in dem Moment, wo man nichts mehr tun kann, um das Projekt zu verbessern, dass ist der Moment, wo man „The End“ darunter setzen und es abgeben kann.
Wann dieser Moment ist, das hängt von jedem Autor selbst ab und bei einem Anfänger kann das Beste etwas ganz anderes sein, als bei jemandem der bereits einige Schreibprojekte hinter sich hat. Aber dennoch kann man bei allen den Rat geben: Wenn ihr fühlt, dass ihr durch seid, dass ihr alles getan habt, was notwendig war, dass ihr alles gegeben habt, was ihr könnt, gemäß eurer Möglichkeiten und gemäß eures Wissenstandes, dann ist es durch. Dann könnt ihr durch weitere Kontroll- oder Überarbeitungsrunden nichts mehr verbessern. Egal, was ihr noch hinzufügen oder weglassen würdet, es wird nicht besser.
Wenn dieser Punkt da ist, lasst das Projekt los.
Ist die Methode vage und irgendwie undankbar?
Ja, natürlich. Weil Gefühle sind nie klar umrissen und bei jedem anders. Aber leider ist es nicht anders möglich. Ihr könnt nur das tun, was in euer Macht steht. Wunder können wir alle nicht vollbringen, egal wie sehr wir wollen. Natürlich kann es sein, dass wenn ihr euer Projekt an jemanden abgebt, der mehr Erfahrung und Wissen hat als ihr oder einfach nur einen anderen Blick darauf, dass dem noch Dinge auffallen, die dann wieder verbessert werden können, aber für euch ist das Projekt in dem Moment fertig, in dem ihr alles getan habt.
Ach und noch ein Rat aus meiner Erfahrung: Selbst wenn ihr alles getan habt, was ihr konntet, bereitet euch darauf vor, dass es trotzdem Kritik geben wird. Ihr könnt nicht allen gefallen. Es wird NIE allen gefallen. NIE. Muss es auch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Für einen anderen Artikel. Also, nehmt euch Applaus nicht als Richtschnur für euer Handeln und lasst los, wenn ihr nichts mehr hinzuzufügen habt.
So wie ich jetzt.
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