Hypes, Tropes und Tabus - Die Schreibwelt und ihre Schatten

Jeder, der sich länger in der Buch- oder Schreibbubble bewegt, wird sich früher oder später mit Trends konfrontiert sehen.

Trends, was die Schreibprogramme angeht. Trends in Sachen Buchcontent, welche Art Stories oder Figuren gerade gefragt sind und nach einer Weile wird man auch auf Trends stoßen, von denen sich Autor:innen schnaubend abkehren.

Ein solcher „Trend“ waren vor etwa vier Jahren die Themen toxische Beziehung und, gewissermaßen damit Hand in Hand gehend, das Thema toxische Figuren, namentlich der toxische Freund in Liebesromanen.

Für alle, die die letzten Jahre unter einem Stein gepennt haben, das Paradebeispiel, welches gern für toxische Beziehung genannt wird, ist die Beziehung von Bella und Edward aus dem berühmten Vampirroman. Toxisch ist ihre Beziehung auf so vielen Ebenen, dass jeder Psychologe einen Freudenkoller bekäme. Da ist alles drin. Von reiner Naivität, einer weiblichen Figur die einen auf Mauerblümchen macht und offenbar die Auserwählte ist, bis zu Stalking und Gaslighting, dem klaren Übertritt von Grenzen und der systematischen Verunsicherung einer der Figuren. Grund bzw. Entschuldigung für all den Aufwand? Liebe. Weil er sie liebt und seine Liebe eben durch solche eigenartigen, kranken und teilweise auch straffälligen Aktionen beweisen muss.

Ich könnte jetzt noch weiter ausholen, aber in diesem Beitrag soll es nicht um die verworrene Denkweise der Figuren dieses Vampirromans gehen. Darüber hat sich die Buchwelt bereits genug ausgelassen. Was mich viel eher interessiert, ist die Reaktion der Schreibbubble und welche Konsequenzen daraus gezogen wurden.

Bis zur Entdeckung, dass das was Edward tut mehr als grenzwertig, teilweise sogar straffällig war, waren die Romanbände das Lieblingskind der Schreibbubble. Edward und Bella waren das neue Traumpaar. Romeo und Juliet, denen man vor allem jugendlichen Übermut und Egoismus vorwerfen konnte, waren vergessen, verdrängt.

All das änderte sich, als sich einige Psychologen mit dem Buch auseinandersetzten und erklärten, dass die ach so geliebten Verhaltensweisen gerade von Edward (Bella konnte man ja nur vorwerfen, dass sie dumm wie sie war, alles mit sich machen zu lassen) echt unter der Gürtellinie und die Beziehung der beiden extrem toxisch war.

Mit einem Mal ging ein Aufschrei durch die Schreibbubble.

Mit Lichtgeschwindigkeit wandten sich alle von dem ehemals strahlenden Liebespaar ab.

Ebenso rasch wußte auf einmal jeder und sein Hund alles über toxische Beziehungen und schlechte Tropes. Gekrönt wurde das dann damit, dass Autor:innen in Folge erklärten, dass ihr Schreiben nicht nur reiner Zeitvertreib wäre, sondern sich von nun an vielmehr dem Anspruch von Moral und Bildung sowie der Herstellung neuer Grundlagen für die Gesellschaft unterwerfen müsste. Die Gesellschaft sei ungerecht und schlecht. Besonders Frauen gegenüber. Wenn sich das ändern sollte, nun, dann müsse auch die Literatur ihr Scherflein dazu beitragen. Denn, so die Erklärung, was bildet uns und unsere Vorstellung von der Gesellschaft, von der Art und Weise, wie wir miteinander in Beziehung treten, mehr, als die Bücher, die wir lesen, die Filme, die wir sehen?

Die Folgerung war: Autor:innen trügen gewissermaßen Mitschuld daran, dass die Welt aus den Fugen geraten wäre, dass wir die falschen Verhaltensweisen bejubelten. Wir könnten ja nicht anders, schließlich wären wir über die letzten Jahre mit falschen Rollen- und Verhaltensbildern aufgewachsen. Hätten diese durch Literatur und Film und Fernsehen aufgenommen und dann im echten Leben repliziert.

Wenn sich das ändern soll, dann war klar, geht das nur, wenn man den nachfolgenden Generationen ein anderes Rollen- und Verhaltensbild mitgäbe. Was eben die Literatur und ihre Erschaffer:innen auf den Plan rief.

Wenn Gaslighting, Femizide aus vermeintlich romantischen Motiven (aka er kann nicht ohne sie leben) und das Verständnis für Vergewaltigungen aufhören sollten, dann müsste es in der Literatur anders behandelt werden. Bzw. dann müsste es in der Literatur als das behandelt werden, was es tatsächlich ist: als etwas Grauenvolles, was nicht entschuldigt, sondern bestraft, im besten Fall verhindert gehört, etwas, dass man unter keinen Umständen irgendwie mit romantischen Motiven rechtfertigt, geschweige denn verklärt, wie das eben bei Bella und Edward und noch zahlreichen anderen Literatur- und auch Film -und Fernsehpaaren der Fall war.

Literatur sollte sich wieder auf ihren Bildungsauftrag besinnen. Egal ob es sich dabei um ein Sachbuch oder einen Roman handelt.

Gut,von Erziehung durch Roman via Baseballschläger hab ich noch nie viel gehalten, aber eine Abkehr von den Tropes mit angeblich ach so unscheinbaren, tollpatschigen Heldinnen, die neben Latein, Griechisch, MMA noch perfekt Sticken, Häkeln, Kochen und Klavierspielen können und ihrem Partner, dem dunklen, mysteriösen, wortkargen, zu allen außer ihr, aggressivem Typen, dagegen habe ich nichts. Mir persönlich geht diese Kombination spätestens nach dem zweiten Roman auf den Geist. Allerdings war ich gespannt, wie die Abkehr davon umgesetzt werden sollte. Ein Trope ist nicht ohne Grund ein Trope. Es ist etwas, dass jeder versteht, etwas, dass leicht zu basteln ist und das erfolgreich ist. Lässt man es weg, entsteht eine ziemlich dicke Lücke. Wie bitte soll die gefüllt werden? Mit was für Figuren wollten sie dann arbeiten? Würde das erfolgreich sein? Und könnte ich das auch?

Das waren alles Gedanken und Fragen, die mir durch den Kopf gingen, als ich die Diskussionen verfolgte und im Stillen die Konsequenzen für mich überdachte. Und während ich neue Figuren und Plots ent- und wieder verwarf, tat sich in der Schreibubble was?

Genau. Eigentlich nichts.

Die neuen Schreibprojekte von Autor:innen folgten, immer noch den gleichen Tropes und Mustern, die sie hatten verwerfen wollen.

Während ich mir mein Hirn zermarterte, ließen sich andere für genau das feiern, was sie hatten abschaffen wollen. Die tollpatschige Heldin mit mysteriösem Superpartner war nach wie nicht nur sehr lebendig, sondern auch noch unglaublich beliebt.

Und ich stand da, kratzte mich am Kopf und fragte mich: Wie zur Hölle geht das?

Hatten nicht noch eben alle laut und deutlich gesagt, sie wollten das nicht mehr schreiben?

Hatten nicht alle gesagt, toxische Beziehungen wären bah und sie wollten etwas dagegen tun?

Wie kann es dann aber sein, dass trotzdem nach wie vor noch die alten Figuren und Muster weiterverwendet werden?

Zumal das nicht nur ein Phänomen der Schreibbubble, sondern der Welt allgemein ist.

Wir alle wissen was der Klimawandel ist und wie man ihn vielleicht noch etwas abbremsen könnte. Trotzdem fahren alle SUV, als wollten sie gerade zu, dass München demnächst am Meer liegt und Venedig und Amsterdam als ungewöhnlichste Korallenriffe der Welt dienen können.

Was wiederum die Frage aufwirft, warum ist das so?

Warum kriegt die Menschheit es spielend leicht hin derart zwiegespalten zu sein?

Auf der einen Seite verfügen wir über die Fakten. Sich zu informieren war noch nie so einfach wie heute. Trotzdem ziehen wir es vor die Dinge immer noch auf althergebrachte Art und Weise zu machen, als wenn nichts auf dem Spiel stünde. Nur um dann umso geschockter zu reagieren, wenn Hitzewellen über uns herfallen, Flüsse über die Ufer treten und ganze Landschaften durch Wirbelstürme auch hier in Deutschland verwüstet werden oder ganze Wälder niederbrennen. Oder aber eben auch, wenn nach wie vor Dinge trenden, die wir doch eigentlich längst verteufelt haben.

Daher ziehe ich für mich folgende Konsequenz aus dem Ganzen: Egal, was gerade trended, ich halte mich raus, tue was für mich gut ist.

Ich werde mir nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, was die Konsequenzen für mein Schreiben, für meine Projekte sind und wie ich die neuen Trends umsetzen kann. Ich werde versuchen zu Schreiben, was ich möchte und was mir Spaß macht. Denn, wie man sieht, Verdammte und Totgesagte leben offenbar länger als erwartet. Was jeder für sich von Diskussionen und Trends übernimmt, wie weit man sich anpasst und sich verändert, dass soll jeder für sich selbst entscheiden. Ich selbst werde solchen Dingen (hoffentlich) nicht mehr folgen und mir nicht mehr den Kopf zerbrechen in dem Versuch den Trends zu folgen.

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Ohren gespitzt!

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