Es war einmal - Ein SchauerMäerchen der unlogischen, vertanen Szenen und Chancen

Okay, es gibt ein Phänomen, das mir (besonders in gehypten) in Büchern begegnet und von wem ich nicht weiß, ob ihr das auch kennt, aber jedes Mal, wenn ich es sehe, bzw. lesen muss, lässt es mich schier zweifeln.

Zweifeln an dem Verlagswesen.

Zweifeln daran, wie dumm man schreiben kann, wie viel man verschenken kann.

Zweifeln an Übersetzungen und auch an mir selbst, bzw. meinem Eindruck von mir und dem, was ich schreibe. Ob es wirklich so mies ist, wie ich meine, dass es ist, weil jedes Mal, wenn ich so etwas lesen muss, dann denke ich mir: wenn das verlegt (und wie warme Semmeln angepriesen) wird, dann kannst du dich auch aus der Deckung wagen, weil deine Schreibe eindeutig besser ist als das!

Wovon ich rede, sind schlecht geschriebene Szenen. Vertanene Chancen auf Humor und verbockte Spannungskurve. Stolpernde, unlogische Szenen, in denen theoretisch etwas aufregendes, spannendes, wichtiges passiert, die einen als Leser aber frustrieren.

Beispiel gefällig?

Eines dieser Beispiele die ich erst vor Kurzem lesen „durfte“ stammt von Seite 84 aus „Karte der Welt“.

In der Szene geht es darum, dass Wex, ohne seine Chefs um Erlaubnis zu fragen und ohne zu wissen, was er tut, in der Nacht den halb im Schleier verborgenen Berg den sie erobern / erkunden wollen, kartographiert. Nun muss man dazu sagen, dass es sich bei dem Berg und bei dem Nebelschleier nicht um irgendeinen Berg und irgendeinen Nebel handelt, das wäre ja öde. Nein, natürlich sind sie beide magisch. Bzw. der Nebel ist magisch erschaffen und das Land / der Berg hinter dem Schleier ist unbekannt und vermutlich von allen möglichen Abenteuern und Gefahren bewohnt. Also die perfekte Steilvorlage für Spannung und Grusel. Doch weiter mit der Szene:

Am nächsten Morgen wird Wex unsanft geweckt. Während er sich noch wundert doch eingepennt zu sein, wird klar, was er in der letzten Nacht getan hat und dass ihm garantiert Ärger für seine nächtliche Aktion droht. Zudem bemerkten wir als Leser, dass die Schleier, die Wex letzte Nacht gezeichnet hat, am frühen Morgen nicht mehr da sind, was recht … eigenartig ist. Zurückziehende Schleier sind nie gut oder?

Also wundert es uns als Leser nicht, dass Fretter, einer von Wex Chefs, ihn runtermacht für seine Aktion. Allerdings nicht dafür, dass Wex offenbar Magie gewebt, bzw. zerstört hat (womit er die ganze Kompanie unglaublicher Gefahr aussetzt), sondern dafür, dass er die Karte mit seinem Gekritzel versaut hat.

Hmmm…. Als Leser runzle ich hier kurz die Stirn. Wex hat mit seinem Gekriztel die Schleier zerstört, aber Fretter scheint das entweder nicht zu sehen oder es juckt ihn nicht, was klare Verkennung der ach so deutlichen Zeichen wäre, aber gut… Führungskräfte und Intelligenz… ist so eine Sache. Und wenn der Autor genau darauf anspielen wollte, was ein guter Witz wäre, wäre das in Ordnung, doch statt das auszubauen lässt er den zweiten Chef Wexes auftreten: Lothario. Lothario unterbricht Frettes Schimpftirade mit dem Hinweis, es gäbe gerade Wichtigeres, über das sie sich Gedanken machen sollten. Ja, nämlich die Veränderung der Welt durch Wex! Als Leser denkt man sich: Endlich jemand, der es sieht und die Spannung aufgreift. Endlich eine Figur, die die Szene logisch weiterspinnt….

Oder auch nicht.

Nach einem anfänglich guten Start bei dem die Figuren auf die von Wex geschaffenen neuen Tatsachen reagieren wie vorgesehen, nämlich mit Schreck, Aufregung und Misstrauen, denn hinter dem Schleier lauert das Böse, nicht vergessen, wird es immer schlimmer. Im negativen Sinn für die Spannungskurve und den Leser. Denn nach dieser Steilvorlage erklärt Lothario sehr sachlich und vernünftig, dass die von Wex geschaffenen neuen Tatsachen doch mega für den Fürsten sind, den er auf der Erkundungstour vertritt. Schließlich hieße das Zurückweichen der Schleier für besagten Fürsten mehr Land und damit mehr Reichtum und das ist immer gut. Selbst dann, wenn es sich um Dämonenland handelt, was für alle Teilnehmer dieser Kaffeefahrt potenziell gefährlich ist.

Joa… eigentlich hätte ich jetzt sich noch steigernde Angst und Aufregung erwartet. Ein paar Monster aus der Nachbarschaft, die mit dem Zurückweichen der Nebel partout nicht einverstanden sind und vorbeikommen, um das mit Nachdruck zu klären. Ich hätte Diskussionen und Meuterei (wobei, das gibt es nur auf See oder?) erwartet, aber nichts davon bekomme ich!

Stattdessen geht jeder noch mal auf Klo, ehe sie sich aufmachen zu neuen Ufern bzw. Berghängen, die vermutlich auch spannend sind, aber wunderbar der deutschen Bürokratie nach ISO 9000 ordentlich gestempelt, gelocht und abgeheftet werden.

Bravo. Steilvorlage gehabt und vergeigt. In bester Manier.

Die Reaktionen der Figuren in dieser Szene sind wie ... mitten in einem Kampf mit einem Monster zu beschließen, nen Kaffee zu kochen, statt das angriffsbereite Biest zu erledigen!

Es ist entgegen jeder Logik! Widerspricht allem! Oder würdet ihr dem Menschenfresser den Rücken zuwenden für ein aromatisches Heißgetränk?

Nein! Natürlich nicht! Verdammte Hacke!

Ihr würdet erst das Monster erledigen und dann den Kaffee kochen. Plus die Überreste aufsammeln. Vielleicht kann man die noch gebrauchen. Selbst wenn nicht, die müssen da ja nicht liegen bleiben und die Natur versuchen. Umweltschutz. Schon mal gehört?

Scherz beiseite, warum bitte finde ich solche Szenen immer wieder? Und vor allem gerade in über den grünen Klee gelobten Büchern? Sollten nicht gerade die perfekt oder nahezu perfekt sein? Das sind doch Verlagsbücher, die stark beworben werden! Da sollte die Spannungskurve doch die leichteste Übung sein oder? Ich verstehe es nicht!

Gut, jeder hat seine Fehler. Niemand von uns schreibt perfekt. Aber wenn mir mehr als eine Handvoll solcher Szenen unterkommen, fange ich an zu fragen wie es sein kann, dass da wer die einfachste Regel der Logik nicht kapiert hat. Leute, wer zuckt, der muss spielen! Läuft im Volleyball so, läuft auch beim Schreiben so. Figuren funktionieren nach einer gewissen Logik und so, wie oben geschildert, so funktionieren sie nicht. So funktioniert niemand von uns.

Und wenn es lustig gemeint sein soll... tja, auch dann kann ich nur festhalten, dass es vergeigt wurde. Denn wenn ich die Bühne für eine coole Überfliegerfigur bereiten möchte, ihr wisst schon die Sorte spröder Held, der sich erst dann in den Kampf einschaltet, wenn der Rest der Mannschaft ihn zu verlieren droht, wenn dem so wäre, auch dann gibt es eine logische Abfolge von Dingen / Reaktionen / Aktionen, die passieren werden/ müssen. Und das aufnehmen des Kampfes mit dem Monster gehört zwangsläufig dazu.

Ihr seht was ich meine?

Es geht um die Spannung in der Geschichte, um die Logik im Verhalten der Figuren, denn auch wenn die Figuren und die Handlung alle erfunden sind, heißt das noch lange nicht, dass man als Autor machen kann, was man will. Auch in einer erfundenen Welt gibt es Dinge, die funktionieren und welche, die bringen es nicht. Und Figuren, die Dinge, die ihnen wichtig sind (wie z.B. den einzigen Sohn, um mal auf die Karte der Welt zurückzukommen), einfach so aufgeben oder die sich außerhalb ihrer Rolle verhalten, wie etwa die Dienstmagd, die der Herrin befiehlt, stoßen da in der Regel sauer auf. Es sei denn, der Bruch mit der Logik ist gut gemacht. Wie eben im Beispiel der Magd, die der Herrin befiehlt.

Lasst uns doch die zwei oben erwähnten Beispiele, der Vater der den Sohn weggibt und die herrische Dienstmagd, mal ansehen und umschreiben, bzw. erklären, was da Sache ist und wie es funktionieren kann.

Beispiel 1: Vater muss den einzigen Sohn ziehen lassen

Auch das ist ein Beispiel, das dem Buch „Karte der Welt“ entnommen ist.

In dieser Szene geht es darum, dass Wex von den Soldaten Fretter und Lothario entdeckt wird und sie ihn mitnehmen wollen, denn Wex kann etwas, dass für sein Umfeld untypisch ist und das sie dringend brauchen. Er kann zeichnen. Sie sind auf der Suche nach einem Kartographen. Logo wollen Fretter und Lothario Wex auf große Abenteuerfahrt mitnehmen. Und Wex, dem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, will mit. Doch natürlich kann Wex, der der einzige Sohn ist und später mal den Hof übernehmen soll, nicht ohne das Einverständnis von Papi in die weite Welt ziehen. Ebenfalls logisch. Etwas kitschig zwar, etwas Klischee, aber logisch.

Folgerichtig setzen sich die Soldaten, Wex und Papa an einen Tisch und die Soldaten legen ihren Fall dar und, wie nicht anders zu erwarten, sagt Papa „Nein“. Nein dazu, dass sein einziger Sohn auf eine gefährliche, potenziell tödliche Mission gehen soll. Nein dazu, dass er allein bleibt und den Hof allein weiter bewirtschaftet, was er nicht schaffen wird. Nein dazu, dass er vermutlich demnächst keinen Erben mehr hat, an den er den Hof weiterreichen kann.

Für uns als Leser ist klar, warum er so reagiert. Uns ist klar, dass das nicht funktionieren kann, dass das Vaterherz blutet. Wex ist sein einziger Sohn, alles, was er von seiner geliebten Frau noch hat, sein Erbe und seine Zukunft. Das gibt er nicht so einfach auf! Oder? Oder?!

Und die Soldaten, die ihre Mission durchführen müssen, wollen nicht ohne Wex losziehen. Sie brauchen ihn. Ohne Kartographen keine Karte. Ohne Karte keine Rückkehr an den Hof.

Jetzt beginnt das Feilschen. Die Soldaten weisen auf die Wichtigkeit der Mission hin. Wex erzählt Papa wie, er sich fühlt, was er sich wünscht, was er gern tun möchte. Er setzt den Welpenblick auf und… ! Schwupps, das ach so blutende Vaterherz, es schmilzt dahin. Vergiss Todesgefahr, Prophezeiungen und Gerüchte, die abstruse Mission und das er der einzige Sohn ist, das Letzte, was er von seiner Frau noch hat. Natürlich darf Wex gehen!

Nein, natürlich nicht!

Warum?

Na, weil es die Spannung killt. Weil es eine wunderbare Möglichkeit verschenkt. Weil es komplett gegen die Logik der Situation, der Figur geht! Sollte man meinen, aber der Autor… lässt es einfach so fallen. Einfach so. Kein Kampf, keine Verbote, kein Streit, kein nichts. Einfach versanden. Ein Welpenblick, eine Schnute und vorbei!

Besser, logischer gelöst, wäre das Ganze, wenn Papa seinen Widerstand nicht so einfach aufgegeben hätte. Wenn er gekämpft hätte, Wex das Ganze schwerer gemacht hätte. Nicht unmöglich, aber schwerer. Möglichkeiten dafür gäbe es viele.

Möglichkeit 1: Die Soldaten erzwingen Wex Teilnahme an der Mission mit Waffengewalt! Sie drohen dem Vater entweder Sohn her, oder Kopf ab. Oder, noch ausgreifender: Entweder Sohnemann her oder Dorf in Flammen und vernichtet.

Ja, nicht sonderlich sympathisch, aber logisch in Anbetracht der Tatsache, dass Fretter und Lothi.. Dingens gelernte Soldaten und voll von ihrer Mission überzeugt sind plus ein halbes Heer im Schlepptau haben. Da sind so ein Bauer und ein paar Dörfler doch kein Problem.


Oder Möglichkeit 2: Papa bleibt hartnäckig in seiner Weigerung und Wex, der vom Fernweh geplagt ist, wie jeder Jugendliche in einem Dorf am A... der Welt, schleicht sich des Nachts weg.

Hier kann man noch die zusätzliche Wendung einbauen, dass wenn Wex aus dem Fenster geklettert ist, das Pferd aus dem Stall holt, bei besagtem Pferd ein Bündel mit Essen und einer warmen Decke findet. Ein Geschenk seines Vaters. Denn dem ist klar, dass wollte er seinen Sohn wirklich halten, er ihn im Keller festbinden müsste. Was er nicht will. Und daher möchte er sicher stellen, dass es seinem Sohn gut geht, wenn er schon abhauen muss.

Beide Lösungen wären logisch und deutlich spannender als das schnelle Einlenken des Vaters.

Beispiel 2: Magd und Herrin

Die Figuren sind dem Märchen die Gänsemagd entnommen. Vielleicht kennt ihr es? Story geht so: die "Gänsemagd", eigentlich eine Prinzessin mit Zauberkräften, reist aus ihrem Heimatland in das Land ihres zukünftigen Gatten. Begleitet wird sie von ihrer Dienstmagd, einem alten Soldaten und Fallada, dem treuen Pferd ihres Vaters, das mit ihr sprechen kann. Im Verlauf der Reise geht Einiges schief. Nicht zuletzt, weil die Dienstmagd, die eifersüchtig auf ihre Herrin alles an sich reißt und zum Schluss sogar Kleidung und Identität mit der Prinzessin tauscht, um als (vermeintliche) Braut in der Burg des Königssohns einzureiten. Bzw. sie würde einreiten, wenn Fallada sie ließe. Da der Hengst sie aber nicht mag, wirft er sie vor den Augen und Füßen ihres vermeintlichen Verlobten ab. Ein erster Hinweis für den Prinzen, dass da was faul ist, aber das begreift der natürlich nicht, weil ... Männer.

Okay, vergessen wir den Prinzen, kommen wir zur Logik der Story.

Theoretisch sollte eine Magd, die sich gegen die Herrin erhebt, nicht funktionieren. Weil, untere Stände versus obere Stände. So verhalten die sich nicht. Eigentlich. Allerdings wird bereits von Beginn des Märchens an gezeigt, wie sich die Magd jedem gegenüber herrisch benimmt. Sowohl der Prinzessin gegenüber als auch ihren Kolleg*innen. Auch wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Dame eifersüchtig ist, selbst Prinzessin werden möchte.

Gleichzeitig wird immer wieder gezeigt, wie sanft oder mit anderen Worten nachgiebig die Prinzessin ist. Weil Sanftmut, Nachgiebigkeit, dass sind die edlen Charakterzüge, die jede wahre Prinzessin auszeichnen und die jeder haben sollte. Durch dieses Set an Charakteren wird das unlogische Verhalten der Figuren wieder logisch. Die Magd kann nicht anders aufführen, als sie es tut und die Prinzessin… auch nicht, weil sie ja so lieb und nett ist. Und das sorgt für den Konflikt und die Spannung in der Geschichte. Denn ohne die Revolution der Magd, wäre es was? Eine Geschichte über eine Prinzessin, die sich auf die Reise zu ihrer Hochzeit mit dem Prinzen des Nachbarlandes aufmacht und guter Dinge ungehindert dort ankommt.

Moah... spannend geht anders oder?

Scherz beiseite, was ich eigentlich damit zeigen will, ist, dass unlogisches Verhalten von Figuren durchaus geht, dass es sehr wohl für Spannung sorgt, aber, und das ist ein großes ABER, es muss durchdacht und gut gemacht sein. Die Figuren müssen das hergeben, sonst funktioniert es nicht. Gleiches gilt für das Gegenteil. Wenn die Figuren mehr hergeben und man es nicht nutzt, ist das eine vertane Chance. Wenn man Anfänger ist, gut dann ist das so. Wenn man aber ein angeblich gefeierter Autor ist… dann möchte ich dieses Ding nicht kaufen.

Und das ist dann der Punkt, an dem ich den Kopf schüttle und mich frage: Woran liegt´s?

An fehlendem Talent, an fehlender Erfahrung doch wohl nicht? Ein Bestsellerautor ist kaum ein Anfänger. So einen Coup zu landen braucht Zeit und Arbeit.

Dann liegt es an der Übersetzung? Ebenfalls kaum. Als jemand der zwischen den Sprachen aufgewachsen ist weiß ich, dass man sicher einiges an Freiraum hat, wenn man übersetzt, aber so viel dass man alle Spannung allen Konflikt raus nimmt? Nein, geht nicht.

Also, woran liegt es?

Und warum werden solche Sachen dann immer so gefeiert, wenn sie doch ganz offensichtlich so schlecht sind?

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