Von Happy Endings und schönen, neuen Welten
In Filmen und Bücher gibt es sie immer wieder: Happy Ends.
Mal mehr, mal weniger perfekt. Je nach Anspruch des Publikums.
Leser lieben das. Leser wollen das. Das große Drama und das strahlende Happy End am Ende. Und das obwohl es total unrealistisch ist. Oder sollte es heißen WEIL es total unrealistisch ist?
Mal ehrlich, wer kennt es nicht? Der Chef ist ein Sklaventreiber, die Wohnung war auch schon mal ordentlicher und das Gegenüber in der Beziehungskonstellation auch bereits aufmerksamer. Solche Phasen kennen wir nicht nur aus Filmen und Büchern, wir kennen sie vor allem aus unserem Alltag. Allerdings mit einem signifikanten Unterschied zu Film und Buch. Während in der fiktiven Welt die Probleme sich gleich zu Dramen auswachsen, am besten auch noch in null Komma nichts, und das Ende dann natürlich auch entsprechend bombastisch ausfallen muss, ist es bei uns doch mehr so Fifty Shades of Alltag. Alles ein wenig nervig und Kraft raubend, aber so wirklich tiefschwarz, freier Fall und am Ende dann Ballons, Schmetterlinge, Sonnenstrahlen und singende dicke Engelchen? Das erreichen wir eher nicht. Aber natürlich heißt das nicht, dass wir uns das nicht alles wünschen. Aber warum eigentlich, wenn wir doch wissen, dass vor Happy End immer tiefschwarzes Drama kommt und das es alles total unrealistisch ist?
Einfach, weil wir alle Individualisten sind, die alles erreichen können, was sie wollen.
Die Welt ist voller Individualisten.
Also theoretisch.
Theoretisch sind wir alle Individualisten. Praktisch … sind wir eher Teil einer Masse.
Etwas, dass wir zwar immer geflissentlich ignorieren, aber das sowohl die Werbung, als auch Ikea schon vor Jahren festgestellt haben und kräftig ausnutzen. Wenn wir uns ehrlich umsehen und umhören, stellen wir fest, dass sich unser kleines Leben gar nicht so sehr von denen unserer Freunde und Verwandten unterscheidet. Ebenso wenig unsere Träume und Hoffnungen. Und das, obwohl wir die Generation sind, der man zeit ihres Lebens eingetrichtert hat, dass wir alles sein können, was wir wollen, dass wir besonders und ganz toll seien. Ein Einhorn unter lauter Fröschen, eine Prinzessin in Ausbildung oder der Superheld von morgen, bei dem ein stinknormales Leben, das sich jeden Tag wiederholt als Tarnidentität herhalten kann, bis dieser eine, wichtige, besondere Moment gekommen ist. Leider stellt es sich allerdings als harsche Realität heraus, dass dem nicht so ist. Niemand von uns wird Prinzessin und die wenigsten von uns Superheld. Logo, dass die Realität dann nicht unbedingt ganz weit oben auf unserer Hitliste der beliebten Orte steht. Und weil der Mensch das auf Dauer nicht erträgt, hat er sich etwas Wunderbares einfallen lassen: Den Eskapismus.
Eskapismus:
Eskapismus ist die Möglichkeit, durch die Kraft seiner Vorstellung in eine andere Welt zu entkommen. Eine Welt in der Drama und Wunder, die eigentlich immer irgendwie zusammengehören, an der Tagesordnung sind. Zu finden ist diese Welt entweder in Tütchen mit weißem Pulver, in unseren Träumen, auf dem Grund einer Glasflasche, auf der flimmernden Mattscheibe oder aber zwischen zwei Buchdeckeln, egal ob sie nun digital oder tote Baumausgabe sind. Wobei hier darauf hingewiesen sei, dass Mattscheibe, Kino oder Buch den anderen Möglichkeiten zu entkommen deutlich vorzuziehen ist, da sie den entschiedenen Vorteil haben, weniger kostspielig und weniger illegal zu sein, aber, das nur am Rand. Wichtig ist: Menschen brauchen Fluchtwege. Und nicht nur den: Sie brauchen und wollen auch ihr Happy End.
Einmal das Happy End Nr. 25, bitte!
Beim Liebesroman ist es die neue Beziehung. Bei dem Young Adult ist es der erste, entschiedene Schritt in das selbstbestimmte, eigene Leben ohne Eltern oder Freunde. Beim Krimi ist es der Moment, in dem die Handschellen klicken und der Mörder überführt ist.
Ein Happy End kann zahlreiche Formen haben, aber immer muss es da sein. Die Schuldigen müssen verurteilt werden, Gerechtigkeit, die Balance des Universums muss wiederhergestellt werden und der Held der Geschichte muss seinen Glanzmoment gehabt haben. Alles andere wäre ein schaler Abgesang und würde den Zuschauer, den Leser nicht zufriedenstellen. Ganze Romane sind daran gescheitert, dass sie nicht das erwartete Happy End hatten.
So… Was hat das jetzt mit mir zu tun?
Nun …
Ich hasse Happy Ends!
Ja, es ist wahr.
Ich. Hasse. Happy. Ends.
Ich glaube nicht an Happy Ends.
Happy Ends existieren nicht. Zumindest nicht im realen Leben.
Und da ich mich genau daran beim Schreiben meiner Romane orientiere, sehe ich nicht ein, warum ich das ändern sollte. Warum sollte ich meine Figuren am Ende alles und noch mehr haben lassen, als sie am Ausgangspunkt, am Start des Buches hatten? Ist doch alles Mögliche, aber nicht logisch.
Der Haken:
Leider schreibe ich in einem Genre wo es unvermeidbar scheint, dem Leser / der Leserin ein Happy End zu geben. Alles andere würde das Publikum als Verrat und als nicht zufriedenstellend ansehen. Und das ist etwas, dass ich mir eigentlich nicht leisten kann, da schon meine Figuren untypisch für das Genre sind, da ich sie nicht nach dem für das Genre gern verwendeten Figurenbaukasten zusammenschraube.
Statt dass Charlotte entweder der wilde Draufgänger, das Mauerblümchen oder die eiskalte Lady wider Willen ist, ist sie einfach eine Frau mit großer Klappe, sehr vielen Skrupeln und Verstand. Anstatt ihrer Liebe zu Thomas sofort nachzugeben, überlegt sie sich, was die Konsequenzen sein könnten. Für sich selbst und für ihre Tochter. Und sie beschließt dem nicht nachzugeben, weil es einfach einfacher ist.
Für einen Liebesroman nicht unbedingt das beste Setting und wenn dann auch noch das Happy End und die Entwicklung der Figur fehlt, bei der Charlotte sich einmal komplett umkrempeln müsste, tja, dann ist richtig Stimmung.
Leider die falsche.
Lösung?
Die Lösung könnte sein brav nach Fahrplan zu schreiben.
Wie Romanfiguren gestrickt sein müssen, was ein guter Liebesroman aufweisen muss, um zum Publikumsliebling zu werden, das kann man heutzutage alles locker nachlesen.
Allerdings will ich das? Kann ich das?
Ehrlich? Ich habe es bei Lotte drei Mal probiert, das Ruder herumzureißen und den Figuren ein absolutes Happy End aufzudrücken. Jedes Mal, wenn ich es hatte, fühlte es sich unecht, gelogen an. Das Maximum war ein offenes Ende zu schreiben in das jeder hineininterpretieren kann, was er will und braucht. Zu mehr bin ich nicht in der Lage.
Außerdem verstehe ich nicht, warum wir immer wieder Bücher nach Schema F schreiben sollten. Das wird auf Dauer doch langweilig. Wollen wir das wirklich?
Und warum erwarten wir immer, dass die Figuren sich in einer Geschichte entwickeln müssen? Warum werden sie gezwungen, sich zu verändern? Ist Nichtentwicklung nicht auch eine Art der Entwicklung. Die Moral der Geschichte könnte doch auch sein, dass die Figur eben leider nicht aus ihren Fehlern gelernt hat und die Strafe dafür bekommt. Ist es nicht auf Dauer deutlich frustrierender, wenn wir immer wieder vorgehalten bekommen, wie andere es schaffen ihre alten Verhaltensmuster zu überkommen, ihre Feinde zu besiegen, während wir selbst es nicht schaffen? Wo ist der Punkt an dem Eskapismus sich gegen den wendet, der versucht zu entfliehen?
Dass die schöne neue Welt der Medien und Filme Druck aufbaut perfekt sein zu wollen und das wir uns dadurch mehr schaden, als helfen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Menschen vereinsamen, scheitern an dem Druck so perfekt sein zu wollen, wie es die Bilder suggerieren.
Wäre es nicht an der Zeit für eine Gegenbewegung?
Warum nicht das Leben so zeigen, wie es wirklich ist und den Lesern / Leserinnen zu verstehen geben, nein, es ist nicht alles perfekt. Es ist in vielen Fällen einfach nur fifty shades of Alltag und mehr gibt es da nicht. Einfach helfen, den Druck von den Menschen zu nehmen und ein Körnchen Realität in die Glitzerwelt bringen.