School abroad - Schule auf Abwegen
Es ist ein in Deutschland ungewöhnliches, oft auch sehr umstrittenes Thema über das man, fern von Skandalen und religiösen Fanatikern, kaum Informationen oder Erfahrungsberichte findet: Unterricht zu Hause, auch homeschooling genannt.
In den USA und auch hier in Kanada ist es nichts Ungewöhnliches sein Kind zu Hause zu unterrichten. In Deutschland hingegen ist das fast unbekannt. Entsprechend rar sind die Informationen, die man in Deutschland über die Möglichkeit des Unterrichts fernab von deutschen Schulgebäuden bekommt, was schade ist, da dieses Model viele Chancen bietet. Ich selbst habe mir bereits vor unserem „Ausflug“ nach Vancouver die Finger wund getippt und die Ohren heiß telefoniert, auf der Suche nach einem Weg unserem Kind den Zugang zum deutschen Bildungskanon zu erhalten, ohne großen Erfolg. Von offiziellen Seiten, wie zum Beispiel der Schulaufsicht in Karlsruhe oder dem Kultusministerium in Stuttgart wird gemauert, dass Trump seine reine Freunde hätte. Und auch im Netz gibt es wenig brauchbare Informationen.
Der Durchbruch kam erst und auch nur per Zufall, nachdem wir hier vor Ort waren, was eigentlich sehr schade ist, weswegen ich hier schildern möchte, was unsere Beweggründe dafür waren das Kind zu Hause zu unterrichten, wie es möglich gemacht wurde und was, nach einem guten halben Jahr, unsere bisherigen Erfahrungen damit sind, in der Hoffnung, dass ich dem Mythos Heimunterricht seinen etwas anrüchigen Ruf nehmen und andere informieren kann, die vielleicht auch gerade auf der Suche sind.
Gründe:
Warum wir uns dafür entschlossen haben unsere Tochter zu Hause zu unterrichten?
Weil die kanadische Schule schlecht ist, egal, was Pisa behauptet.
Dass die kanadische Schule um Längen schlechter ist, als die Deutsche fängt schon mal damit an, dass Kanada nur 100 Schultage, anstatt rund 200, wie Deutschland. Doch das wäre nicht weiter wichtig, wenn diese 100 Schultage wenigstens genutzt würden, was aber nach unserer Erfahrung nicht der Fall ist. Vielmehr bekamen wir schnell den Eindruck, die Schule hier ist eine Art Aufbewahrungsanstalt, aber kein Ort, an dem Wissen vermittelt wird.
Dies liegt zum einen daran, dass es keine geordneten Strukturen gibt. Der Lehrer entscheidet jeden Morgen, ob und worauf er Lust hat zu unterrichten. Möchte er nicht machen die Kinder, was sie wollen. Womit niemand ein Problem hat, unter der Voraussetzung es wird nicht zu laut und die Kinder bleiben im Klassenraum. Zum anderen liegt es auch daran, dass die wenigen Schultage oft für Schulausflüge genutzt werden. Was nicht schlecht ist. Deutsche Schulkinder gehen auch in Museen, graben nach Fossilien oder besuchen Ausstellungen. Allerdings besteht da ein Unterschied. In Deutschland werden diese Besuche im Unterricht vorbereitet und begleitet. Geht man zum Beispiel in einen Steinbruch Fossilien suchen, wie es das Kind in der 5. Klasse getan hat, so wird das in Geografie vorher besprochen. Die Kinder erfahren etwas über die unterschiedlichen Gesteinsschichten, die Erdzeitalter und in Biologie werden die Tiere, die damals gelebt haben durchgenommen. In Kanada werden die Kinder einfach nur an den entsprechenden Ort gebracht und dann wieder sich selbst überlassen. Oft ist es auch so, dass als Ziel der Exkursion kein Museum oder eine Galerie gewählt wird. Aufgrund von notorischer Geldknappheit sind die Schulen oft auf Spenden und kostenlose Angebote angewiesen, was große Hersteller ausnutzen, um die Schüler in ihre heiligen Hallen zu einer oftmals wenig verschleierten Werbe- und Verkaufsaktion einzuladen.
Innerhalb von zwei Monaten langweilte sich das Kind zu Tode und uns wurde sehr schnell klar, dass das nicht die Art von Schule war, die wir uns erhofft hatten oder die wir für angemessen hielten. Eine Lösung musste her. Das Kind brauchte richtigen Unterricht im Sinne von Wissensvermittlung, nicht abhängen.
Eine Privatschule kam für uns nicht in Frage, weil die leider zu teuer sind. Eine deutsche Auslandsschule, wie wir sie in Frankreich besucht hatten, war und ist auch nicht verfügbar. Die Nächsten dieser Art befinden sich irgendwo an der Ostküste Kanadas und der USA. Ein etwas langer Schulweg, wie mir schien, also was tun?
Fernschule in Hamburg
Auf der Suchen nach einem Ausweg stolperte ich, mehr per Zufall, als das mir wirklich jemand geholfen hätte, über das Angebot der ILS.
Die ILS war mir bekannt, allerdings im Bereich der Erwachsenenbildung und in Sachen Fernstudium, über das ich von Freunden und Bekannten viel Gutes gehört hatte. Aber, dass sie auch in der „normalen“ Schulbildung involviert war, das war mir neu. Nach genaueren Recherchen, wie ihr Angebot in Sachen Schule aussieht, stellte ich schnell fest, dass es genau das war, was wir brauchten. Die ILS bietet Schule nach deutschem Schulcurriculum für Schüler überall auf der Welt an, die nicht in der Lage sind, eine deutsche Auslandsschule zu besuchen.
Der Unterricht selbst ist von Pädagogen geplant, jede Stunde genau ausgearbeitet und in den blauen Heften, die man neben den anderen Schulmaterial bekommt, eingetragen.
Die blauen Hefte, bei uns auch bekannt als “der Lehrer”
Alles, was man als Elternteil oder Schüler tun muss, ist den Anweisungen und Texten im Heft zu folgen und man hat den Lehrer „vor Ort“.
Darüber hinaus gibt es noch die ganzen anderen Mittel, die man aus Schulen kennt.
Die Bücher, die Arbeitshefte, sogar das Chemie- und Physikmaterial für Experimente, die CD´s für den Sprachunterricht… Alles wird in zwei Paketen geliefert, von denen man eines zum Start des Schuljahres bekommt, das Zweite kommt später.
Das Unterrichtsmaterial für die Geisteswissenschaftlichen und Naturwissenschaftlichen Fächer
Theoretisch kann der Schüler den Unterricht allein durchführen. Wer möchte, kann sein Kind aber auch begleiten. Eine Schulstunde beträgt 30 Minuten, denn da die Gruppen kleiner als gewöhnliche Klassen sind, oder es oft Einzelunterricht ist, gehen die Lehrer, die die Stunden geplant haben davon aus, dass es weniger Ablenkungen gibt und weniger Zeit nötig ist, den Stoff zu vermitteln.
Neben dem normalen Schulunterricht gibt es zahlreiche Projekte, die die Kinder machen, um sie mit ihrem Gastland spielerisch besser bekannt zu machen oder aber um den Draht zum Heimatland aufrechtzuerhalten, indem sie sich im Rahmen des Politik-, Deutsch oder Geografieunterrichts über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Was die Leistungsanforderungen angeht, so gibt es auch in der Schule im heimischen Wohnzimmer Tests und Arbeiten, in mündlicher und schriftlicher Form, die geschrieben und eingereicht werden müssen. Grundlage für die Leistungsbewertung ist dabei die Schulform des Schülers, bei uns das Gymnasium, und nach welchem Lehrplan unterrichtet wird, bei uns der Lehrplan Baden-Württembergs. Am Ende des Schuljahres gibt es ein Zeugnis, was den Schulen im Inland zwar unbekannt sein dürfte, aber trotzdem anerkannt werden muss. Für jeden der seine Kinder auch ohne deutsche Auslandsschule unterrichten möchte, ist die ILS also ein Weg.
Zugegeben, kostenlos ist diese Art der Schule nicht. Für das erste Schuljahr haben wir 2580 Euro zahlen müssen. Jedoch verglichen mit den Preisen der Privatschulen, die man in Vancouver findet und der Aussicht das Kind wieder in die Aufbewahrungsanstalt zurückgeben zu müssen, damit sie dann später in Deutschland übel dafür zahlen muss, dass ihr große Teile an Bildung im Vergleich zu ihren Altersgenossen fehlen, ist das ein geringer Preis.
Bedenken
Natürlich hatte ich bei aller Begeisterung auch Bedenken. Ich war skeptisch, nicht nur weil ich es unkoscher finde, dass es nur eine Institution gibt, die so etwas anbietet, sondern auch was das ganze Homeschooling anging. Immerhin heißt das, dass man sein Kind jeden Tag unterrichten muss, was sicher nicht immer angenehm ist und zum anderen bedeutet es für das Kind, dass es von seinen Schulkameraden abgeschnitten ist, denn der Unterricht findet als Einzelunterricht statt, es sei denn, es finden sich mehrere Kinder zusammen. Würden wir das schaffen?
Dazu kamen noch die Reaktionen der Verwandtschaft in Deutschland. Ich bekam die ganze Bandbreite zu hören. Von Unglauben (So etwas ist doch nicht möglich!) bis hin zu unverhohlenen Drohungen (Das wird sich nur negativ auf euer Verhältnis auswirken! Das Kind braucht Kontakt zu anderen Kindern!). Der Start des Experiments Homeschooling war also nicht sonderlich erfreulich.
Um so glücklicher und auch schadenfroher stimmt es mich, der holden Verwandtschaft bei der ersten Gelegenheit unter die Nase zu reiben, dass, obwohl ich keine Lehrerin bin und obwohl wir die Schule hier allein machen, es alles andere, als ein Misserfolg ist!
Erfahrungen:
Homeschooling ist keine Katastrophe. Im Gegenteil: der Einzelunterricht scheint dem Kind, nach einer Phase der Anpassung, in der es für alle Beteiligten anstrengend war, sehr gut zu bekommen. In fast allen Fächern hat sie ihre Noten halten können, in manchen Fächern sich sogar um bis zu zwei Noten verbessert, was ich dem Fakt zuschreibe, dass sie, da sie allein im Unterricht sitzt, keine Möglichkeit hat, sich hinter dem Rücken anderer zu verstecken. Unaufmerksamkeit, vor sich hinträumen und dann den Stoff nicht mitbekommen, wie das früher in einer Klasse mit 24 Kolleginnen und Kollegen und einer überarbeiteten Lehrerin der Fall war, ist nicht mehr. Jede Frage die kommt, richtet sich ausschließlich an sie!
Daneben haben wir den Luxus den Unterricht den Bedürfnissen des Kindes anpassen zu können. Braucht man weniger als die vorgesehene Zeit, kann man den Stoff schneller durchmachen, so dass es nicht langweilig wird. Gleichzeitig schafft man sich so Freiräume, die man dann für Fächer nutzen kann, in denen es nicht so gut läuft und wo man den Stoff noch mal wiederholen oder vertiefen möchte. Darüber hinaus kann ich den Stoff um Dokumentationen anreichern und ihn spannend gestalten, ZDF Mediathek sei Dank! Ein weiterer Vorteil des Unterrichts zu Hause ist auch, dass man sofort Einfluss auf die Gestaltung der schriftlichen Aufzeichnungen hat. Dinge, wie Ordnung und Sauberkeit der Aufschriebe, die zu meiner Zeit in der Schule noch hoch im Kurs standen, die in der Schule meines Kindes aber regelmäßig unter den Tisch fielen, weil die Lehrer sowieso schon genug zu tun hatten, können im Rahmen des Homeschoolings vermittelt werden. Bei einem Kind mit Dyslexie kein zu vernachlässigender Faktor, da gerade diese Kinder dazu neigen Struktur mit Füßen zu treten, so dass sie mit ihren Aufzeichnungen wenig, bis gar nichts anfangen können und so Schwierigkeiten haben den Schulstoff zu lernen. Die Lösung hier ist, den Kindern strukturierte Aufzeichnungen mitzugeben und ihnen beizubringen, wie man Sachen ordentlich aufbereitet. Etwas, was in der Inlandsschule zu kurz kommt, dass ich hier aber in Ruhe beibringen kann. So werden Grundlagen gelegt, die dem Kind weit über die Schule hinaus helfen können.
Doch es gibt nicht nur Vorteile beim homeschooling. Das ist klar.
Einer der Nachteile ist, dass man jeden Tag arbeiten muss. Den ganzen Vormittag. Der Unterricht bei uns in Klasse 7. erstreckt sich von 8:15 Uhr bis 12:30 Uhr, an sechs Tagen die Woche. Bei jüngeren Kindern mag es etwas weniger sein, bei Älteren sogar noch mehr, da mit zunehmenden Klassenstufen auch der Stoff-und Stundenumfang steigt. Man muss also auch als Eltern diszipliniert sein und das Kind motivieren können, wenn es mal schwer wird. Das ist nicht immer leicht, aber es sollte einem die Bildung seines Kindes wert sein.
Was die Ferien betrifft, so regt das ILS an, sich dabei an den Ferienzeiten des Gastlandes zu orientieren. So kann der Schüler die Ferien mit seinen Freunden verbringen und ist nicht ausgeschlossen vom Kontakt zu Gleichaltrigen, der natürlich sehr wichtig ist und bei dem Modell des Unterrichts zu kurz kommt. Was ich auch ohne Umschweife zugeben muss. Allerdings lässt sich für das Abgeschnittensein von Gleichaltrigen ein Ausgleich durch die Teilnahme an Sportgruppen oder anderen Freizeitangeboten finden. Nur weil ein Kind zu Hause unterrichtet wird, bedeutet das nicht, dass es automatisch zum Sonderling wird, weil es keinen Kontakt zu anderen Kindern hat.
Fazit:
Ich bin sehr zufrieden mit diesem Schulmodel. Wenn ich mich zurückerinnere, wie die Situation in Deutschland in der Schule war und dann hier, dann ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht.
In Deutschland war jeder Schultag ein Kampf. Aufgrund der Dyslexie hinkte das Kind im Unterricht hinterher, verlor irgendwann den Anschluss. Der Schulstoff ging komplett an ihr vorbei, mit dem Ergebnis, dass wir am Nachmittag dasaßen und alles noch mal machen mussten. Meine Versuche seitens der Lehrer Hilfe für das Kind zu bekommen wurden komplett abgeschmettert. Begründung: es gäbe noch andere Kinder in der Klasse, man könne sich nicht nur um mein Kind kümmern. Da es mir allerdings auch verboten war, das Kind aus der Schule zu nehmen und es einem Unterricht zuzuführen, der seinen Bedürfnissen gerecht wurde, war es eine absolute Pattsituation, bei der das Kind auf der Strecke zu bleiben drohte.
Hier in Kanada war alles wesentlich entspannter, ruhiger…
Am Anfang dachten wir auch noch, das sei normal, die Anforderungen würden schon noch anziehen, nach der ersten Woche, immerhin war es kurz nach den Sommerferien, wo noch niemand so richtig da ist, man kennt das ja. Dass es dann zu so einem Laissez faire ausarten würde, bei dem das Kind plötzlich für seine „Aufsässigkeit“ niedergemacht wurde, einfach weil es sich, ganz deutsche Ordnung, im Unterricht auf jede Frage meldete… Wer hätte das ahnen können?
Das Homeschooling ist für sie das Beste, was ihr passieren konnte und ich wünschte, es wäre in Deutschland auch weiterhin für uns verfügbar, denn für Kinder, wie meines, dass nicht in dem gleichen Tempo und in der gleichen Art und Weise lernt, wie andere Kinder, ist der Einzelunterricht, der flexibel auf sie abgestimmt werden kann ein Gewinn. Nicht zuletzt auch, weil wir ihr die Hilfestellung geben können, die sie benötigt, ohne die Leistungsanforderungen zu verändern, eine Möglichkeit die Dyslexiker in Deutschland haben, auf die Lehrer und Eltern anderer Kinder aber immer wieder geradezu allergisch reagieren. Durch das homeschooling Programm der ILS hat mein Kind zum ersten Mal beweisen können, dass Dyslexie keine Frage von Intelligenz ist und es hat zum ersten Mal lernen können, wie sich Unterricht jenseits von ewigem Nachholen, Druck und Streß anfühlt. Es wäre schön, wenn Deutschland dieses Model auch im Inland für Bedürftige zur Verfügung stellen würde, ja wir wären sogar bereit die Kosten für diese Form des Unterrichts auch weiterhin zu übernehmen.
Ansonsten kann ich nur sagen: Jeder der vorhat mit seinem Kind ins Ausland zu gehen und noch auf der Suche nach einer Alternative zu den Schulen vor Ort ist: macht euch bei der ILS schlau. Es ist gut angelegtes Geld!