Routine nach dem Lektorat
Es ist nun fast ein Jahr her, seitdem Hüter aus dem Lektorat gekommen ist und seitdem sitze ich jeden Vormittag an meinem Schreibtisch und überarbeite, wobei ich, das scheue ich mich nicht zuzugeben, versuche so viel zu recyceln, wie es geht. Warum unnötig Arbeit machen, wenn es an Teilen nichts auszusetzen gibt? Macht ja keinen Sinn. Allerdings, gebe ich zu, ging und geht das nicht überall und manche Änderungen, besonders im ersten Teil des Buches, waren so weitreichend und tiefgreifend, ja, ich glaube, ich muss eher tiefgreifend sagen, dass ich mich doch gezwungen sah Kapitel neu zu schreiben.
Na ja, während ich also Tag für Tag so vor mich hinarbeite, dachte ich mir warum nicht einmal erzählen, wie das Überarbeiten aussehen kann, wenn ein Buch aus dem Lektorat kommt. Man hört viel davon, dass ein Buch ins Lektorat muss oder soll, aber was dann danach damit passiert, darüber hört und liest man wenig. Daher dachte ich, wäre es interessant zu erfahren und auch zu reflektieren, wie das aussieht und was einen erwarten kann, wenn das Buch vom Lektor kommt.
Was erwartet einen?
Als ich mein Buch ins Lektorat gab, ging es mir in erster Linie darum prüfen zu lassen, ob die Geschichte etwas taugt. Das Hauptaugenmerk lag also auf der Spannungskurve, den Figuren, der Logik in der Geschichte. Rechtschreibung und Stil spielten keine Rolle, da das die Stellschrauben sind, an denen ich ganz zuletzt drehe, wenn der große Unterbau stimmt, von daher betrafen die Anmerkungen meiner Lektorin vor allem Sachen wie die Spannungskurve, das Verhalten von Figuren in der Geschichte, Logikfehler, die sie entdeckt hatte und auch die Atmosphäre im Buch, die nicht gut umgesetzt war. Rechtschreibung oder Stil wurde wenig kritisiert, weil es in der Phase einfach nicht notwendig war. Sicher das eine oder andere Mal hatte ich auch dazu eine Anmerkung am Rand, aber die waren wirklich sehr spärlich und nicht dringend.
Ganz allgemein kann man sagen, wenn man das Buch zurückbekommt, ist der erste Eindruck der, dass ein ganzer Berg an Arbeit vor einem liegt und man nicht weiß, wie genau man das verändern, be – und überarbeiten soll und das jede Änderung, die man vornimmt einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Änderungen nach sich ziehen wird, bis das ganze Gerüst der Geschichte quasi anfängt zu wackeln wie ein Kartenhaus in einem Erdbeben. Oder, weniger blumig formuliert: man kann sagen, man ist leicht überfordert.
Erste Maßnahmen dagegen?
Abstand nehmen und Überblick verschaffen.
Ja, gut, erst mal kurz durchatmen und dann aber Abstand nehmen und einen Überblick verschaffen.
Nachdem ich den ersten Schreck und meinen Reflex unkoordiniert mit dem „Aufräumen“ beginnen zu wollen gebändigt hatte, habe ich mich gefragt, was für Änderungen eigentlich notwendig sind? Welches Ausmaß haben sie und was wäre ihre Wirkung auf die Geschichte und deren Logik?
Es gibt Fehler, die sind sehr kleiner Natur. Zum Beispiel die Änderung der Farbe eines Kleidungsstücks. Ob die Hose nun blau oder rot ist, hat auf die Logik und Entwicklung der Geschichte kaum Einfluss. So eine Änderung ist also leicht gemacht und hat keine schweren Konsequenzen. Aber, wenn man einen Charakter sterben lassen muss, das hat definitiv Einfluss. Da muss man in Folge ganze Kapitel umschreiben, um die Figur herauszulöschen und ihre Aufgaben an die anderen Figuren zu übertragen. Änderungen sind also beides, aber sie haben eine unterschiedliche Wirkung auf die Geschichte.
Dann kann man die Änderungen noch nach ihrer Größe einteilen. Muss ich zum Beispiel die ganze Geschichte mühsam absuchen, weil das Ding, das ich ändern will, in der ganzen Geschichte verteilt vorkommt? Oder ist es nur ein Detail auf Seite fünf? Auch ein kleiner aber nerviger Unterschied. Also, genau dafür braucht man einen Überblick, um zu sehen, was kann man schnell abhaken, ohne, dass es größere Probleme nach sich zieht und was ist wirkliche Arbeit, wo man sich vielleicht noch vorher hinsetzen und sich Gedanken machen muss, wie man den Ratschlag umsetzen kann.
Zu viele Kapitel und die Perspektive
Was in Hüter am einfachsten umzusetzen war, war das Löschen von Kapiteln, da ich, zum Glück?, dazu neige Kapitel einzubauen, die zur Entwicklung der Geschichte nichts beitragen. Doch nicht nur dabei hatte ich Glück. Ausgerechnet diese Kapitel waren auch gleichzeitig die, die in der falschen Perspektive standen. Statt den Hauptfiguren kamen Nebenfiguren zu Wort und das geht nicht, also weg damit. Die mageren Informationen, die von der Nebenfigur geliefert wurden, musste ich dann natürlich entweder in dem vorherigen oder aber in dem Kapitel danach einbauen, was nicht ganz so einfach war. Informationen nachträglich in einen Text hineinzuschmuggeln und es so aussehen zu lassen, als wären sie von Anfang an dort gewesen erfordert einiges an Feingefühl. Oder aber schlicht Disziplin, wenn man das Kapitel in großen Teilen noch mal neu schreibt.
Nachdem ich das geschafft hatte ganze fünf Kapitel ersatzlos zu streichen und damit um die 150 Seiten zu sparen, ging es langsam los und ich musste bereits auf den ersten sieben Kapiteln drei zu großen Teilen ändern. Doch das war leider nur der Anfang.
Unlogisches Handeln, kill your darlings und die Atmosphäre
Richtig ans Eingemachte ging es bei der Kritik an der Handlungsweise mancher Figuren und der generellen Atmosphäre des Buchs. Um das zu ändern, war ich gezwungen ganze Kapitel komplett neu zu schreiben, da sich durch die Verhaltensänderung eine ganz andere Spannung eine andere Atmosphäre in den Kapiteln ergab, denen ich gerecht werden musste. Also blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu verwerfen und neu zu schreiben. Sicher, ich habe immer versucht so viel wie möglich zu übernehmen, aber teilweise war es nicht machbar.
Neben dem Problem, dass es einige Kapitel gab, die nichts zur Entwicklung der Geschichte beitrugen, gab es das Problem, dass ich zu viele Figuren hatte. Neben den zwei Hauptfiguren gab es vor dem Lektorat sechs Nebencharaktere. Natürlich ist es so, wenn man so viele Nebenfiguren hat, dann ist nicht jede von ihnen detailliert ausgearbeitet, was dazu führen kann, dass Figuren blass wirken. Da zwei meiner Figuren eben blass waren und auch keine wichtige Funktion hatten, war der Vorschlag aus dem Lektorat, diese zwei Kandidaten ersatzlos zu streichen.
Ganz gelungen ist es mir nicht, aber zumindest eine Figur habe ich auf ziemlich konsequente Weise erledigen können und habe so auch noch für zusätzlich Atmosphäre im Buch gesorgt. Denn auch diese stimmte bei mir nicht wirklich und bedurfte daher einer Überarbeitung.
Natürlich ist es hier auch nicht anders, als mit Informationen, die man versucht nachträglich in einen Text unterzubringen. Es ist schwer. Spannung und Grusel muss leider von Anfang an in der Szene geplant sein, weil es alles aufeinander aufbaut. Wenn man da hinterher versucht noch etwas hineinzuschieben, dann wird es kompliziert. Aber da ich ohnehin dabei war ganze Szenen neu zu schreiben, konnte ich mir hier auch gleich dazu Gedanken machen und auch das „Drumherum“ zu planen und zu schreiben.
Was ist geblieben?
Nach all diesen Änderungen, Kapitel werden gestrichen, andere neu geschrieben, die Figuren verändern sich, ist ja die Frage, wie viel habe ich eigentlich verändert und was ist noch vom alten Buch übrig?
Bis jetzt habe ich von 49 Kapiteln die Levi zugeordnet sind, 31 bearbeitet. Davon sind vielleicht 5 unangetastet geblieben? Der Rest ist zu mindestens drei viertel überarbeitet worden, was heißt, es sind große Teile des Kapitels neu geschrieben worden.
Bei Gregor, der zweiten Hauptfigur, sieht die Lage etwas anders aus. Hier konnte ich mehr übernehmen, was dazu führt, dass von 10 Kapiteln (bisher) immerhin 7 in ihrer fast ursprünglichen Form überlebt haben. Weitere Kapitel stehen allerdings noch aus und ich weiß, dass sich dort zwangsläufig größere Änderungen ergeben werden, einfach weil ich an einer Stelle angelangt bin, an der die beiden Handlungsstränge aufeinandertreffen. Das heißt zwar, dass ich jetzt aus dem Gröbsten heraus bin, bedeutet aber auch wieder sehr viel Arbeit, weil ich den Änderungen in den vorangegangenen Kapiteln Rechnung tragen und die nachfolgenden umarbeiten muss. Dennoch sollten sich die Dinge etwas vereinfachen, denn alle Figuren an einem Platz zu haben ist schon angenehmer, als ständig zwei Stränge parallel laufen zu haben, ohne den Überblick zu verlieren.
Nun denn, ich hoffe, ich habe euch zeigen können, was einen erwarten kann, wenn man ein Buch aus dem Lektorat zurückbekommt und wie man den Berg an Arbeit bewältigt.
Solltet ihr bereits auch ein Lektorat hinter euch haben oder gerade mit dem Gedanken spielen euer Buch in die Hände eines Lektors / einer Lektorin zu geben und dazu noch Fragen haben, dann nur zu, hinterlasst mir eine Nachricht.