Ratschläge, die niemand braucht
Den Anstoß zum heutigen Blogartikel gab ein Twitterkommentar, der mir vor ein paar Monaten in meine Timeline gespült wurde.
In diesem ging es darum, wie man als Autor etwas, das plötzlich passiert, beschreiben, einleiten könnte, und es wurde bemerkt, dass eine Figur, die mitten in dem Geschehen ist, dieses nicht mit Worten wie „Plötzlich“, „Aus dem Nichts“ und anderen „Füllwörtern“ einleiten würde, da es für diese Figur einfach so passiert. Lediglich ein Erzähler mit Distanz wäre in der Lage die Dinge als „plötzlich“ zu definieren, da er genug Abstand zum Geschehen hätte. Wolle man also aus Sicht einer Figur, die sich mitten im Geschehen befindet schreiben, gelte es solche Formulierungen zu vermeiden, die im Übrigen ohnehin Füllwörter und daher eh zu vermeiden seien, als hätten sie die Pest.
Nun ist es so, dass das nicht der erste und einzige solcher Tipps war, die ich in meine Timeline gespült bekomme. Ich finde immer wieder solche Perlen, nicht zuletzt, weil ich auf Twitter vielen anderen Autoren / Autorinnen und Lektoren und Lektorinnen folge, die eben die Angewohnheit haben ihre neuesten Weisheiten und Feststellungen vor großem Publikum zeigen zu wollen, was menschlich verständlich sein mag, es aber nicht weniger nervig macht.
Und auch in diversen Schreibratgebern habe ich ähnliches zu allen möglichen Aspekten rund um das Schreiben lesen können. Angefangen davon, wann man wie viel Schreiben sollte, bis hin zu dem berühmt berüchtigten „Show don´t tell“ - Hinweis, der nicht totzukriegen zu sein scheint, was schade ist, denn gerade die Werke, die wir als Klassiker bezeichnen machen alles andere, als diesem Hinweis zu folgen.
Was allen gemeinsam ist, ob sie nun in meiner Timeline auftauchen oder ob ich sie in einem Ratgeber lesen muss, ist Folgendes:
1. Sie nerven
2. Sie sind meist in einem sehr einschüchternen Tonfall gehalten
3. Sie machen auf (vermeintliche) Fehler aufmerksam, mehr aber auch nicht
Daher kann man mit dieser Art von Ratschlägen alles Mögliche machen. Vor allem aber sollte man dankend auf sie verzichten.
Warum?
Ganz einfach, weil sie nicht helfen.
Doch betrachten wir das ganze doch mal im Detail.
Gehen wir zu Punkt 2: Der Tonfall
Ich habe nie verstanden, warum Ratschläge unbedingt in einem so großkotzigen Ton geliefert werden müssen. Wird irgendetwas besser, bekommt es mehr Gewicht und Überzeugungskraft, wenn es von oben herab mit viel Druck geäußert wird? Mich macht das eher misstrauisch. Ich beginne mich zu fragen, ob ich da nicht zu meinem Glück gezwungen werden soll und ob dieses Glück überhaupt mein Glück ist. Bei genauer Betrachtung muss ich sagen in den meisten Fällen ist es das nicht und das ist auch gut so.
One man´s meat is another man´s poison
Literatur ist ein sehr subjektives Ding. Was dem einen gefällt, wird der andere nicht mögen und das ist in Ordnung, sonst wäre die Welt ziemlich langweilig. Doch wenn dem so ist, warum sollten wir dann überhaupt noch allgemein verpflichtende Ge- und Verbote in Sachen Schreiben aussprechen? Warum sollten wir nicht alle so schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist? Was soll der ganze Humbug von wegen Show don´t tell?
Ich weiß es nicht.
Alles, was ich nach all den Jahren habe feststellen können ist, dass die Literatur, ebenso wie zum Beispiel die Mode, Veränderungen unterworfen ist.
Das, was im 18. und 19. Jahrhundert noch als schick galt, gilt heute nichts mehr. Und in der Literatur war das eben dieses show don´t tell. Jane Austen, von der die meisten Romanschreiberinnen seufzend schwärmen, hat sich massiv des Tells bedient. Ebenso George Eliot die gerade auf meinem Schreibtisch liegt. Beide Damen sind keine Groschenheftschreiberinnen sondern anerkannte Klassiker der englischen Literatur. Also, warum nicht einfach machen, was Jane und George gemacht haben, wenn einem danach ist? Nur weil irgendwer das auf Twitter sagt? Immerhin verkaufen sich beide Damen auch heute noch.
Sag mir nicht nur wo, sondern auch was
Doch kommen wir zum nächsten Punkt meiner Kritik.
Ratschläge wie oben zeigen einen (vermeintlichen) Fehler auf, mehr nicht und sind damit nicht hilfreich.
Ich habe mich in einigen meiner Artikel mit Kritik auseinandergesetzt und gezeigt, was hilfreiche von nicht hilfreicher Kritik unterscheidet und dabei kann man sagen, dass Kritik, die bemängelt, aber nicht sagt, wie man den Fehler beheben könnte, nicht hilfreiche und daher nicht notwendig ist. Sie wird einen nicht weiter bringen, sondern nur Kopfschmerzen bereiten.
I gave it up – the reading
Sehr oft sieht man diese Art von Kritik auch in Schreibratgebern, oft in zwei unterschiedlichen Ausführungen, wenn wir es Ausführung nennen wollen.
Zum einen gibt es die Ausführung, welche komplett ohne Textbeispiel auskommt und einfach nur aufzählt, was man nicht machen sollte. Diese halte ich für die Schlimmste. Und dann gibt es die zweite Ausführung, bei der sich der Autor etwas mehr Mühe gemacht hat, weil die Ratschläge, die Kritik, anhand von Textbeispielen verdeutlicht werden sollen. Unter oder neben dem Text findet der Leser dann eine Aufzählung all der Punkte, die an dem Textbeispiel angeblich vermeidbar gewesen wären und, wenn es ein besonders guter Ratgeber ist, im Anschluss ein Textbeispiel, das sehr gut gelungen ist, weil es alle eben angesprochenen, kritisierten Punkte nicht enthält. Oder enthält. Je nachdem, was gefragt ist. Allerdings liegt da der Fehler der Ratgeber. Oft sind es zwei verschiedene Beispiele, die gegeben werden.
Anstatt dem Leser eine Art Vorher / Nachher Vergleich zu präsentieren, wird anhand von zwei unterschiedlichen Texten gezeigt, wie man es machen sollte. Für den Leser und Ratsuchenden ist es nicht möglich nachzuvollziehen, wie der „schlechte Text“ aussähe, würde man all die eben gegebenen Ratschläge anwenden. Wie soll man da vergleichen? Wie soll man da abschätzen können, wie groß die Auswirkungen tatsächlich auf den Text wären, würde man die Ratschläge anwenden, die in Textbeispiel eins gegeben wurden? Warum hat man nicht einfach das erste Beispiel genommen und all das angewandt, was man kritisiert hat, um zu zeigen, wie es eben nachher aussieht? Verwirrend, aber nicht hilfreich. Daher habe ich es aufgeben solche Ratgeber zu lesen und verlasse mich auf mein Bauchgefühl.
Ausweg
Ich denke, mit dem Schreiben ist es ein wenig wie mit dem Kochen.
Es gibt Leute, die können aus einem willkürlichen Haufen Reste im Kühlschrank ein essbares, sogar schmackhaftes Abendessen machen.
Und dann gibt es mich. Und was ich daraus machen kann wollen wir nicht wissen, weil das nicht mal die Katze essen würde und man es vermutlich auf dem Sondermüll entsorgen müsste.
Ich kann nur dann Kochen, wenn ich ein Rezept und alle Zutaten dafür habe. Improvisieren ist beim Kochen nicht möglich.
Für das Schreiben gilt das Gleiche.
Es gibt Leute, die haben es einfach drauf. Die können in den Kühlschrank der Inspiration und Literatur gucken, ziehen scheinbar wahllos Sachen daraus hervor, halten sich keinen deut an irgendwelche Rezepte und es kommt ein Drei Gänge Menü dabei heraus, dass man der Queen vorsetzen könnte. Solche Leute haben das Stadium ein Rezept zum Kochen zu brauchen überschritten. Sie wissen, was sie tun, haben ein Bauchgefühl, was zusammen passt und was nicht. Und dann gibt es die, die sich noch sklavisch an das Kochbuch halten müssen, weil sie es allein nicht hinbekämen, weil sie eben nicht das Bauchgefühl haben, dass sie von den Improvisationskünstlern unterscheidet.
Die Frage, die ihr also für euch klären müsst ist, wollt ihr aus dem Bauch heraus schreiben? Könnt ihr aus dem Bauch heraus schreiben? Und wenn nein, welche Art von Kochbuch wollt ihr haben? Eines in dem die Hälfte des Rezepts, auf das ihr angewiesen seid, nur angedeutet wird? Eines, bei dem man die Hälfte dessen, was in das Gericht kommen soll nicht finden kann, weil es in einem anderen Buch in einem anderen Rezept erklärt wird? Wir haben so ein Kochbuch hier zu Hause und ich halte es für den größten Fehlkauf schlechthin.
Also, lernt gute Kritik, gute Ratschläge von schlechten zu unterscheiden, damit Kritik euch weiterbringen kann, anstatt nur herunterzuziehen!