Liebling, ich habe die Katze gerettet!
Liebling, ich habe die Katze gerettet.
Was löst dieser Satz in euch aus? Was seht ihr, wenn ihr ihn lest?
Ich sehe eine etwas linkische Figur vor mir, die die Katze gerade noch eben so im Arm hält, bevor besagte Katze sich dazu entscheidet, sich umzudrehen, der Figur das Gesicht zu zerkratzen und dann wegzuspringen. Alles in allem eine ziemlich alltägliche Szene oder?
Würdet ihr aber auch daran denken, dass dieser Satz ein probates Mittel ist, um die unliebsame Hauptfigur eures Buches netter zu machen?
Ja, ich hätte da auch nie daran gedacht, bis ich es in einem Schreibratgeber gelesen habe, als ich für Pola recherchierte, um sie beliebter zu machen. Der Ratgeber meinte, wenn man es mit einer unliebsamen Hauptfigur zu tun hat, die bei den Lesern nicht gut ankommt, die zu kalt oder zu böse wirkt, die dringend gute PR braucht, dann gibt es einen einfachen Trick: man lässt die Figur „nett“ sein, etwas Nettes tun, wie zum Beispiel das Retten einer Katze, und schon ist die Welt mit ihr versöhnt. Und wenn die Figuren sich weigert, irgendwas oder irgendwen zu retten, nun, dann kann man ihr einen schlimmen Hintergrund andichten. Früh verstorbene Eltern. Oder Konkurrenz unter Geschwistern. Besondere Talente, die ausgenutzt werden, bis die Figur nicht mehr anders kann, als sich rigoros ihrer Haut zu wehren. Wenigstens eine schief gegangene Ehe, die die Figur bis ans Ende ihrer Tage gezeichnet und vor weiterer Verantwortung, sowie einer zweiten Ehe zurückschrecken lässt. Hauptsache, es ist etwas, dass die Aktionen der Figur erklärt, rechtfertigt und sie verletzlicher erscheinen lässt.
Tja nun, was soll ich sagen, nachdem ich es einmal gesehen hatte, konnte ich es nicht mehr ignorieren und es fiel mir überall auf. In Büchern, Filmen, Serien… Egal wie gemein der Bösewicht ist, es gibt immer etwas, das sein Herz erweicht. Oder er hat etwas, dass seine Fiesheit erklärt. Eine Art Achillesferse.
Bei Loki, einer Figur, die ursprünglich mal als reiner Spaßvogel konstruiert wurde und für seine „Scherze“ keine Erklärung brauchte, war es eine traumatische Kindheit und die Rivalität mit seinem Bruder, die ihn werden ließ, was er ist und die ihn tun lässt, was er tut.
Bei Thanos, ist es Gamorra, ein Mädchen, das er als seine Tochter annimmt. Während er den Rest ihres Volks abschlachtet, um dem Universum Balance zu bringen, so dass alle überleben können. Also alle, die nicht seinem Massaker zum Opfer fallen.
In die „Spiegelreisenden“ ist es Ophelia, die Thorns weicher Punkt ist und ihn verletzlicher und nahbarer macht. Während er gegenüber allen anderen bestenfalls sehr reserviert ist, öffnet er sich bei Ophelia, nachdem er im dritten Band seine Zurückhaltung ihr gegenüber aufgegeben hat.
In „The Night Manager“ ist es Sophie, die den Hauptcharakter tätig werden lässt und Jemimah, die Freundin des Mafiabosses, ist das, was ihn fast den Kopf kostet.
Ach und selbst Sherlock, hat seinen Watson, der ihn angreifbar macht.
Doch warum ist das so? Warum akzeptieren Leser keine kalten, distanzierten Figuren bzw. warum dürfen diese Figuren kein gutes Leben haben? Warum wollen Leser diese Figuren entweder leiden sehen oder aber erleben,wie sie sich verändern, vorausgesetzt sie verändern sich in die Richtung, die sie sie verletzlicher, menschlicher werden lässt. Warum müssen Bösewichte einen traumatischen Hintergrund oder ein edles, wenn auch irgendwie dummes Ziel haben und können nicht einfach nur Böse sein?
Ich für meinen Fall stoße mich ziemlich daran.
Zum einen, weil ich selbst Figuren habe, die nicht dem Standard entsprechen, weil sie zwar kalt sind, aber keine traumatische Kindheit, keine Rivalität vorweisen können. Sei es, weil sie keine haben oder weil sie es mir nicht sagen. Zum anderen störe ich mich daran, weil ich denke wir sollten über unseren Tellerrand hinaus lesen. Wir sollten Figuren eine Chance geben, die nicht unserem Standard entsprechen und auch nie werden. Wir reden viel über Toleranz, trotzdem können wir noch nicht mal tolerant gegenüber fiktiven Menschen sein, sondern brauchen für ihre Handlungen und ihr Sein eine Erklärung, wenn sie von unseren Vorstellungen abweichen.