Figurenbau: Von Charakterbögen, Interviews und Leihgaben der Spielebranche

Wovon lebt ein Buch? Was lieben die Leser an ihm?

Entweder die exotischen Welten, in denen die Geschichte spielt, das träfe auf das Fantasygenre zu oder aber die Figuren, vorausgesetzt sie sind gut gemacht. Doch hier stellt sich die Frage: Wie schafft man das, gute Figuren zu basteln? In erster Linie, in dem man viel über seine Charaktere weiß. Und wie man das hinbekommt, dafür gibt es mehrere Methoden, von denen ich hier drei vorstellen möchte, nämlich den Charakterbogen, von mir spaßeshalber auch gern „Wanted“ - Poster genannt, das Interview und dann die Beobachtung, bei der es darum geht, die Figuren in mal mehr, mal weniger peinliche oder schmerzhafte Situationen zu stecken, um zu beobachten, wie sie reagieren, um daraus seine Schlüsse zu ziehen.

Charakterbogen:

Wie bereits gesagt, von mir auch scherzhaft gern „Wanted“ - Poster genannt, weil ich in meiner Vorstellung, wenn ich das höre, jedes Mal ein Bild, mit dem Foto / Zeichnung meiner Figur darauf und ihren Charakteristika darunter sehe, wie man sie in jedem guten Western finden kann. Und eigentlich ist die Vorstellung nicht mal falsch, denn es handelt es sich um das gleiche Prinzip. Bei einem Charakterbogen werden alle wichtigen Merkmale der Figur festgehalten. Angefangen beim Aussehen, bis hin zum Lieblingsessen, aber auch Macken, teilweise sogar den Hintergrund, den eine Figur mitbringen kann. Ich sage hier bewusst kann, denn nicht jeder Autor entwickelt seine Figuren derart detailreich, dass er weiß, in welcher Stadt sie geboren wurden oder welchen Beruf die Eltern hatten.

Und auch nicht jede Figur gibt solche Details über sich Preis.

Was mich zur Schwachstelle der Methode bringt. Obwohl Charakterbögen ein sehr gutes Mittel sind, sich über seine Figur klar zu werden, wichtige Dinge über sie festzuhalten und zu Anfang Macken für die Figur zu entwerfen, die sie dann dreidimensional machen, funktioniert die Methode natürlich nur, wenn man als Autor einen Zugang zu dieser Figur hat, also wenn man etwas über die Figur erfährt. Leider gibt es immer wieder Figuren, die sich dem verweigern und bei denen man so nicht weiterkommt.

Bei Charlotte, der Hauptfigur aus „Schattensprung“, „Wiedersehen in Berlin“ und „Lotte in London“ zum Beispiel war es kein Problem an Informationen zu kommen. Sie war jemand, der freimütig erzählte, dass sie zwar in Kanada geboren wurde, aber aufgrund des frühen Tods ihrer Eltern bei Verwandten ihrer Mutter in Frankreich aufwuchs, was wiederum ihre guten Französischkenntnisse erklärte. Ihre Englischkenntnisse wiederum konnten leicht durch ihren ersten Job und ihre erste Ehe erklärt werden, da sie in erster Ehe mit einem Amerikaner verheiratet gewesen war, da sie, nach der Schule wieder „nach Hause“, also nach Kanada zurückging.

Bei Emmeline von Projekt „M“ aber versagte die Methode beinahe vollkommen. Über Emmeline habe ich bis heute nur die wichtigsten Informationen, wie etwa die, wer ihre Eltern sind, ob sie Geschwister hat oder nicht, wie sie aussieht, ob sie Macken hat und wenn ja, welche? Ich weiß, dass sie derzeit in einer Beziehung ist, aber vor dieser einige andere Beziehungen hatte, die sie an die Wand gefahren hat, wie sich ihre Mutter ausdrücken würde. Und nur der kleine Satz, den Emmeline als Erklärung nutzt, verrät mir sehr viel über sie. Nämlich, dass sie offenbar kein Glück in Liebesdingen hat und das ihre Familie ungeduldig ist und ihr die Schuld für die zerstörten Beziehungen gibt, während Emmeline das von sich weist, worauf der Tonfall schließen lässt, den sie nutzt. Hier sieht man gut, mit was man es zu tun haben kann und auf was man als Autor oder Autorin achten muss. Nicht nur die reine Information ist wichtig, sondern auch wie es gesagt wurde. Figuren sind eben wie Menschen. Manch einer redet frei von der Leber weg und andere ziehen es vor sich in Schweigen zu hüllen, weil sie der Ansicht sind, dass ihr Leben niemanden angeht.

Interview:

Dass nicht jeder gern über sich redet, ist auch die Schwachstelle der zweiten Methode, sie erfreut sich dennoch großer Beliebtheit. Beim Interview geht es nicht darum Charakterbögen auszufüllen und einfach trocken Informationen abzufragen, sondern die Idee ist das eher ein Gespräch zwischen Autor und Figur stattfindet, denn wenn es sich um einen Charakter handelt, der nicht gern trockene Fragen beantwortet, kann es durchaus sein, dass er bei einem Gespräch gewillt ist, mehr über sich preis zu geben, bzw. das es eben einfach so geschieht.

Gemein ist beiden Methoden, dass in der Regel die gleichen Informationen abgefragt werden. Also, wie sieht die Figur aus? Ist sie groß, dünn, eher klein und rund? Wirkt sie nett oder kühl? Hat sie irgendwelche körperlichen Auffälligkeiten und, wenn das geklärt ist, wie steht es mit ihrem Innenleben, wie ist ihre Sicht auf die Welt, und wie ist ihr Hintergrund. Also aus was für einem Elternhaus kommt sie? Ist sie ein Einzelkind oder gab und gibt es Geschwister? Haustiere? Ist die Figur vielleicht verheiratet oder in einer Beziehung? Aus welcher sozialen Schicht stammt sie? Kommt sie aus einem reichen Elternhaus oder ist sie arm und wenn ja, hatten der Reichtum oder die Armut Einfluss auf sie? Sind vielleicht manche Angewohnheiten der Figur, wenn sie denn Angewohnheiten hat, dadurch zu erklären? Welche Berufe hatten die Eltern?

Man kann die Liste noch um unendliche Frage erweitern und sich auch nach den Lieblingstieren, dem Lieblingsessen, der Lieblingsfarbe erkundigen. Ob das am Ende den entscheidenden Durchbruch bringt oder wirklich wichtig für das Buch ist, das bleibt jedem Autor selbst überlassen. In der Regel sind Fragen nach dem Aussehen, eventuellen Macken und dem finanziellen und familiären Hintergrund beliebt, auch der Beruf, bzw. die Frage, ob die Figur einem Broterwerb nachgeht oder nicht, und wenn ja, was für einem, ist für die meisten Autoren wichtig, weil der Job im Leben eines normalen Menschen viel Raum einnimmt und auf vieles Einfluss hat, was wiederum auch das Buch verändern kann, bzw. das man beim Schreiben berücksichtigen muss. Doch, wie gesagt, es bleibt jedem überlassen, welche Fragen man stellt, wie viele und natürlich muss nicht alles gleich beim ersten Mal geklärt werden. Vieles ergibt sich auch während des Schreibens und kann später entweder zum Interview oder aber zum Charakterbogen hinzugefügt werden, wenn man das möchte.

Beobachtung:

Was macht man aber, wenn man als Autor oder Autorin auf eine Figur wie Emmeline trifft, die sich zur statistischen Befragung oder aber im Interview ausschweigt? Wie schafft man es trotzdem an Informationen über sie zu kommen?

Ein Weg wäre einfach mit der Figur zu arbeiten und anfangen zu schreiben, doch mancher Autor zieht es vor einen verlässlichen Plan zu haben, bevor er den Stift in die Hand nimmt oder einen Finger auf die Tastatur legt und wenn man in so einer Situation nichts über die Figur weiß, ist das eine gute Chance für eine Schreibblockade. Um solche Situationen zu umgehen, habe ich mir einen Trick aus der Spieleentwicklerbranche geborgt und „play“ - teste meine Figuren.

In der Spielebranche ist das „play“ - testen etwas, das man in Autorensprache am ehesten mit dem Begriff Betaleserphase übersetzen könnte.

Bevor man sein Spiel einer breiten Masse zugänglich macht, gibt man es vorab in die Hände von ausgewählten Spielern, die es durchspielen, also play testen. Bei diesem Vorgang können die Entwickler nicht nur sehen, wo das Spiel hakt oder was besonders gut beim Spieler ankommt, sie haben auch die Möglichkeit die von ihnen erschaffenen Figuren zum ersten Mal richtig in Aktion zu sehen und das ist genau der Teil, den ich mir für schweigsame Exemplare ausgeborgt habe.

Anstatt so jemanden direkt auf mein Buch loszulassen, erschaffe ich eine künstliche Umgebung, in die ich meine Figur gebe und beobachte, wie sie sich verhält. Diese Situationen können sich nach dem richten, auf was die Figur im Buch vorrangig treffen wird, also wenn es ein Buch über Verlust und Depressionen und um Stressbewältigungsmechanismen geht, wäre es sinnvoll vorab zu klären, was die Figur macht, wenn sie mit Verlust konfrontiert wird, um Rückschlüsse aus ihrem Verhalten auf ihren Charakter zu ziehen.

Wird sie wütend? Flippt sie aus? Fliegen Dinge durch die Luft und flucht sie lauthals? Wenn ja, hat die Figur ein ganz schönes Temperament und es läge doch nah, dass sie gern mal etwas hitziger reagiert, sowohl in guten, wie auch in schlechten Zeiten. Was wiederum heißt, dass sie sich vielleicht auch leicht über Dinge freuen kann und das ebenso deutlich zeigt.

Oder versteinert die Figur in Schockzuständen vielleicht und kann gar nichts mehr machen, außer gerade noch um Hilfe zu rufen? Ist das der Fall, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie sich, sollte sie auf eine Katastrophe treffen, durch die Flammen kämpfen wird, um Katzenwelpen aus einem Gebäude zu retten oder Leute aus Autos zu ziehen und noch vor Ort Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten wird. All das sind wichtige Charakterzüge einer Figur, die dazu führen, dass sie entweder in sich geschlossen und logisch wirkt oder nicht. Natürlich kann man auch eine an sich stille Figur haben, die im Katastrophenfall zu Höchstleistungen auflaufen kann, was an sich wie ein Widerspruch wirkt, aber, wenn man so etwas hat, muss man es im Buch gut anlegen, so dass er Leser es verstehen kann.

Genau wie bei den Charakterbögen und bei den Interviewfragen ist man hier sehr frei, wie man die Situationen gestaltet oder in welcher Situation man seine Figuren agieren sehen möchte. Wichtig zu wissen ist nur, dass wenn das Interview oder der Bogen fehlschlagen, hat man noch diese Möglichkeit offen, was einen Weg darstellt um sowohl mit dem Projekt, als auch mit den Figuren weiterzukommen.

Wie man es macht, ist jedem selbst überlassen, auch wenn Schreibgurus und Ratgeber es anders propagieren.

Nächstes Mal geht es darum, wie man die Idee langsam in einen roten Faden umwandelt und den Unterschied zwischen Pantser und Plotter.

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