Eine Nation von Kindergärtnerinnen

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Was man mit Kanada verbindet?

Wenn man Leute in Deutschland fragt, was sie mit Kanada verbinden, wird das erste Wort, das fällt „Natur“ sein und dann wird auf die Höflichkeit der Kanadier verwiesen. Dass egal wohin man kommt, man immer mit einem strahlenden Lächeln und einem netten Kommentar begrüßt wird. Dass einen die Kassiererin an der Kasse fragt, wie es einem geht, wie der Tag so war und der Busfahrer einen anstrahlt, als habe er gerade ein ganzes Atomkraftwerk inhaliert.

Ja, stimmt. Die Leute hier lächeln viel, wenn man ihnen begegnet.

An abstruse Regeln und Lust auf Spießbürgertum, das jegliche Logik ad absurdum führt, denkt wohl keiner. Dennoch ist es so. Und es ist teilweise nicht nur lustig, sondern auch richtig gefährlich.

Beispiele gefällig?

Feuer und Flamme für  Bäume:

Das Fest der Liebe und das des Weihnachtsbaums. Auch die Kanadier kennen das immergrüne Symbol der Hoffnung in den dunklen Winterstunden, auch wenn sie vermutlich nicht wissen, wofür es steht und denken, die Dinger sind einfach nur da, um sie mit möglichst vielen funkelnden Lichterketten zu behängen. Und wenn man sich umsieht, fällt einem auf, dass man in der Tat keinen echten Baum mit echten Kerzen sieht, wie es in Deutschland Tradition ist. Warum?

Weil die das nicht kennen?

Irrtum.

Weil es verboten ist. Also die echten Bäume.

Wegen?

Feuergefahr.

Ja, richtig gelesen. Echte Bäume sind verboten, weil sie eine Feuergefahr darstellen. Echte Kerzen hingegen, egal ob am Baum oder anderswo, sind in Ordnung. Denn, wie jeder weiß, es sind die Bäume, die zur spontanen Selbstentzündung neigen. Die Kerzen können dafür gar nichts. Klingt unlogisch? Nicht doch. Ist total logisch. Und jetzt schafft euch endlich Plastiktannen an und dekoriert sie großzügig mit echten Kerzen. Zu eurem eigenen Besten.

Suche Wohnung, biete Kinder:

Schon in Deutschland ist es ein Problem als Familie bezahlbaren Wohnraum zu finden. Besonders dann, wenn man in Innenstädten sucht. Aber wer dachte, dass es in Deutschland schwer oder kompliziert ist, der soll mal hierher kommen und sich mit den teilweise haarsträubend idiotischen Auflagen auseinandersetzen, wenn es um Mietraum und Kinder geht!

So gilt, dass wenn man zwei Kinder unterschiedlichen Geschlechts hat, diese sich nicht ein Zimmer teilen können. Weil? Unterschiedliches Geschlecht, Privatsphäre, kindliche Entwicklung… Trauma!

Des Weiteren gilt: ein Kind von über 13 Jahren kann nicht mit kleineren Geschwistern in einem Zimmer untergebracht werden, egal ob diese das gleiche Geschlecht haben oder nicht. Ja, Teenager. Ein Albtraum für jeden Zimmergenossen, keine Frage, aber das ist doch etwas hart, wenn man bedenkt, wie schwer es ist bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Hat man also eine durchschnittliche kanadische Familie mit drei Kindern, wird die Wohnungssuche kompliziert, denn zu bedenken sind da, dass man ein Zimmer für den Teenie und eventuell noch zwei weitere Schlafzimmer für die anderen Kleinen braucht. Plus ein Elternschlafzimmer. Macht vier Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, also fünf Räume, plus Küche und vier Bäder.

Vier Bäder?

Nein, ihr habt euch nicht verlesen. Noch so eine süße Strataregel. Ach ja, by the way, Strata ist die staatliche Wohnungsbaugesellschaft, die hier über 90 % des Wohnraums kontrolliert und die Regeln macht. Und laut den Vorstellungen der Strata muss es pro Schlafzimmer ein Bad geben. Hat man vier Schlafzimmer, braucht man also vier Bäder. Ist doch logisch.

Oder seht ihr das anders? Barbaren.

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Common Property und nicht wasserresistente Fußböden:
Man hört gern mal was von seinen Nachbarn, oder? Neulich fand ich diesen netten Zettel an meiner Wohnungstür:

Ich entschuldige mich für die saumäßige Erstklässlerschrift, aber da Kanadier erst in der 3. Klasse schreiben lernen und es dann für den Rest ihrer Schullaufbahn nicht mehr brauchen, weil ihre Klassenarbeiten nur aus Multiple Choice Fragen bestehen, ist es klar, dass das so aussieht, wenn der Kanadier zum Stift greift. Also seht´s meinem Nachbarn nach. Interessant ist auch eher, was da steht. Es ist nämlich eine höflich formulierte Warnung, die so gar nichts mehr Nettes an sich hat, was man als Touri von den Kassiererinnen und Busfahrern kennt, dass ich meine Schuhe nicht in den Hausflur zu stellen hätte, da dieser „Common Property“, Allgemeingut, also für alle zu nutzender Raum sei, in dem meine Privatsachen nichts zu suchen hätten.

Warum ich meine Schuhe außerhalb von Nikolaus vor meiner Tür habe, dazu später mehr.

Wichtig ist für mich darauf hinzuweisen, dass in der Notiz nicht etwa damit argumentiert wurde, dass auf den, manchmal recht engen, Fluren wegen Feuergefahr und Fluchtweg nichts stehen soll, sondern dass gleich mit „Common Property“ und Störung des Hausfriedens in Form von Schuhen vor der Tür gestritten wird. Dabei müssten die Kanadier bei ihren Witterungsverhältnissen und bei ihrer Unfähigkeit vernünftig zu Bauen den Anblick von Schuhen vor der Tür gewohnt sein. Was anderes soll man schließlich machen, wenn es zwei Wochen am Stück schüttet oder aber, so wie in unserem Fall, schneit und taut und man mit klatschnassen Schuhen heimkommt, die man aber nicht in der Wohnung trocknen lassen kann, weil das Laminat keine Feuchtigkeit verträgt.

Die Schuhe dann vor der Tür trocknen zu lassen und den Boden vor Schäden zu bewahren und so die Wohnung zu erhalten scheint mir logischer Menschenverstand. Aber was weiß denn ich? Ich bin ja nur eine dumme Deutsche und bin so blöd, dass ich in meiner Küche tatsächlich Kacheln und kein empfindliches Laminat legen würde. Was daran liegt, dass ich noch koche. Wirklich richtig koche und nicht nur  in der Mikrowelle aufwärme oder die Schachtel vom Pizzaservice aufmache. Ja, ich bin einfach barbarisch.

Bei Mülltrennung Strafe:

Mülltrennung ist notwendig, das hat auch der hinterletzte Hinterwäldler gerafft. Folglich müssen wir auch in Kanada unseren Müll trennen.

Das Problem: Die Mülltrennung läuft hier etwas anders, als in Deutschland und es gibt offenbar auch eine Art Mülltrennungsmafia, die ihr Einkommen über Bußgelder für falsches Trennen macht. Kein Scherz.

Wenn man, warum auch immer, Müll in den falschen Container wirf, muss man zahlen. 200 Dollar, das sind umgerechnet 130 Euro.

Ja, 130 Euro Strafe dafür, dass man den Müll in die falsche Tonne geworfen hat.

Egal, ob wiederholt oder aber weil man es nicht besser wusste, weil man ein Neuankömmling ist. Jeder Versuch darauf hinzuweisen, dass man neu ist, es nicht besser wusste und auf Kulanz und Gnade vor Recht zu plädieren, immerhin hat man es nicht absichtlich gemacht, geht ins Leere. Die Kanadier kennen keine Mäßigung, nur schwarzweiß.

Gleiches gilt übrigens für das „Zwischenparken“ von Müll. Was ich meine? Das, was jeder mal macht, wenn man feststellt, dass der Mülleimer voll ist, man ihn aber nicht gleich wegbringen kann, weil … man gerade einen Topf auf dem Feuer zu stehen hat, die Kinder sonst unbeaufsichtigt wären,  das Telefon klingelt….

Was tun? Man lagert oder parkt den Müll irgendwo zwischen. Vor der Wohnungstür, auf dem Balkon. Um ihn dann später runterzubringen. Alles kein Problem? In Deutschland sicher nicht. In Kanada kostet das je nach Gebäude um die 200 Dollar oder mehr. Und ja, auch wenn der Beutel nur für fünf Minuten zwischengelagert war. Da reicht schon ein giftiger Nachbar, der das anzeigt und man hat den Salat. Bzw. das Bußgeld.

Ich persönlich habe übrigens meine Lösung für das Schuhproblem und noch andere etwaige idiotische Unannehmlichkeiten gefunden.

Ich erkläre es zum Teil meiner Kultur und Tradition. Der Respekt vor Traditionen und Kulturen ist hier nämlich die heilige Kuh und ich gedenke das für mich zu nutzen, da der normale Kanadier leider so dumm ist, dass man ihm mit logischer Argumentation nicht kommen kann. Ich werde also versuchen die Nation von Kindergärtnerinnen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, allein schon um nicht den Verstand zu verlieren.

P.S.: Im Managementbereich kennt man den Hang alles mit Regeln durchorganisieren und befrieden zu wollen. Es schimpft sich Mikromananagemnent und ist nur sehr ungern gesehen, da es, oh Wunder, nicht zur Verbesserung der Firmenkultur und der Beziehungen der Angestellten beiträgt.

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Figurenbau: Von Charakterbögen, Interviews und Leihgaben der Spielebranche

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