Dinge aus dem echten Leben im Buch - Teil 1

Hallo liebe Lesegemeinde.

Nachdem der letzte Blogartikel doch etwas trockener war, dachte ich, ich setze mich heute einmal daran, eine Frage zu beantworten. Und zwar die Frage, ob ich echte Dinge in meinen Büchern „verewige“. Oft wird dabei eher nach Namen oder Personen gefragt, aber dass ich Orte verwende, die ich kenne und die vermutlich fast jeder kennt, ist wohl offensichtlich. Welche Orte das sind, dazu komme ich später noch, doch lasst mich die Frage einmal kurz und schwammig beantworten: Ja. Ja, natürlich verwende ich Dinge, Orte, Namen, Menschen und all das, was mir im echten Leben begegnet. Was genau? Naja… eigentlich so ziemlich alles.

Das können richtig große Dinge sein, wie zum Beispiel Orte. Ich hatte das Glück, meinen Urlaub oft in London verbringen zu können, auch mit britischen Freunden, und kann mich noch gut an die Orte erinnern, die ich mit ihnen besucht habe. Daher ist es nur logisch, dass ich die Orte, die mich am meisten beeindruckt haben, auch in Lotte in London abbilde. So spielt eine meiner Lieblingsszenen zwischen Charlotte und Tom in Greenwich, London. Genauer gesagt beginnt sie in einer Bäckerei, die sich dort befindet und deren Schaufenster sowie Schachbrettmusterfußboden ich in der Szene genau beschreibe. Als ich vor einigen Jahren dort im Urlaub war, kam ich jeden Tag auf meinem Weg zur Themse und zur Tube an besagter Bäckerei vorbei. Ich hoffe, dass sie die Corona-Zeit gut überstanden hat, aber ich denke, so gute Dinge gehen nicht unter. Sie werden immer irgendwie weitergeführt. Wenn auch nicht unter dem Namen, den ich kannte, dann doch unter einem anderen. Und wenn die Sterne richtig stehen, sieht sie immer noch genauso aus wie damals, als ich sie sah: mit einem Kachelboden in Schwarz-Weiß und weißen Halbgardinen in den altmodischen Fenstern, die sich den Platz mit üppig bestückten Etageren voller Macarons in allen Regenbogenfarben, Cupcakes und Petit Fours streitig machten. Alles in allem war es ein faszinierender und leckerer Anblick. So lecker, dass er mir heute noch sehr lebendig im Gedächtnis ist, und mir war von Anfang an klar: Das muss ich mitnehmen. Das muss ich in die Geschichte einbauen. Irgendwie. Einfach nur, weil alles so schön, so bunt und so lecker ist.

Und genau das hat sich dann auch sehr gut ergeben, als Tom Charlotte in besagte Bäckerei führt und dort die Grundausstattung für ein Frühstück holt. Dieses wird jedoch nicht vor Ort im Laden eingenommen, sondern an einem anderen Lieblingsort von mir: den Palaststufen an der Rückseite des Naval Museums.

Das Naval Museum

An schönen Tagen kann man dort wunderbar in der Sonne sitzen, das Leben einfach sein lassen, Leute beobachten, die vermutlich aus genau demselben Grund dorthin gekommen sind wie man selbst. Man lässt den Blick über die Themse schweifen, vor sich das moderne London mit den verglasten Skyscrapern, das am anderen Ufer auf einen wartet, und hinter sich das Naval College mit seinen Säulengängen, King George II und in der Hand einen Coffee-to-Go oder, in meinem Fall, einen Earl Grey, den man sich in einem der Cafés in der Nähe besorgt hat. Wenn das Wetter einmal nicht so toll ist – immerhin reden wir hier von London – kann man sich in eines der besagten Cafés in der Nähe zurückziehen, um dort ganz in Ruhe einen Cupcake oder ein Sandwich und etwas Warmes zu trinken zu genießen. Vielleicht nicht unbedingt in der oben beschriebenen Bäckerei, weil ich fürchte, der Laden ist etwas außerhalb der Reichweite der Normalverdiener. Ich hätte jedenfalls vermutlich ganze Stapel an Büchern verkaufen müssen, um dort sorgenfrei einkaufen gehen zu können. Aber gut, es gibt ja günstigere Alternativen und auch noch einen Supermarkt in der Nähe, der für uns Otto Normalverbraucher reicht. So oder so kann ich die Themse und die Ufergegend nur empfehlen, wenn es darum geht, irgendwo die Beine und die Seele baumeln zu lassen. Und jetzt möchte ich zu einem Ort kommen, den es so nicht in London gibt. Und das ist...

Trautes Heim. Glück allein?

So sicher ist sich Charlotte in Band 3 nicht, als sie zum ersten Mal das Haus sieht, in dem Tom, Regan und sie wohnen sollen. Schließlich ist es nicht gerade unauffällig. Es ist das einzige Einfamilienhaus in einer Ansammlung großer Mietskasernen, es ist einstöckig mit einem ausgebauten Dachboden und von außen betrachtet alles andere als groß. Um es mit Charlottes Worten zu sagen: Es ist der Traum eines kinderlosen Paares, das mitten in der Stadt wohnen möchte, aber für eine Familie mit Kind kaum ausreichend.

Zumindest von außen betrachtet.

Warum ich das jetzt schon zum zweiten Mal sage? Nun, weil genau das mein Eindruck von einem Haus war, das ich vor Jahren in London einmal betreten durfte.

Meine Behauptung, dass es das Haus von Tom und Lotte nicht wirklich gibt, stimmt also nicht ganz. Das Haus an sich existiert tatsächlich. Vermutlich gibt es einige davon. Allerdings lag es nicht in der Umgebung, in der ich es in Lotte in London platziert habe, und dass ich das Haus betreten habe, ist auch schon wieder ein halbes Menschenleben her. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Haus noch in der gleichen Form gibt, schätze ich als eher gering ein. Platz ist in jeder Großstadt ein Problem, und Nachverdichtung ist die goldene Regel. Ich nehme an, dass besagtes Haus wohl nicht mehr so existiert. Leider.

Was mir allerdings nach wie vor im Gedächtnis geblieben ist, ist mein erster etwas besorgter Eindruck, als ich damals vor dem Haus stand und mich fragte, wie zur Hölle wir da alle gleichzeitig reinpassen sollten.

Immerhin waren wir eine Gruppe von etwa sieben Leuten. Und schon wir hätten sich, zumindest von außen betrachtet, in dieser kleinen, zwischen zwei weiteren Häusern eingequetschten Hütte stapeln müssen, um alle gleichzeitig hineinzupassen. Alles andere wäre kaum vorstellbar gewesen, ganz gleich, was mir damals von meinen Bekannten versichert wurde. Wortwörtlich mit dem Spruch: „Don’t worry. It’s much bigger on the inside than it looks from the outside...“

Tja...

Das stimmte tatsächlich. Es war innen wirklich größer als es von außen wirkte. So groß, dass es eine riesige Küche im ausgebauten Keller gab und sogar einen wunderschönen Garten mit einem alten Baum am anderen Ende sowie eine kleine Gartenhütte für das übliche Arsenal an Gartenschläuchen, Schürzen und Gartengeräten. Außerdem gab es eine riesige Ansammlung an Büchern, die in Stapeln die Wände der engen Treppe zierte, die die insgesamt drei Stockwerke miteinander verband.

Alles in allem war das Haus ein einsamer Wahnsinn, und ich hoffe entgegen aller Vernunft, dass es nach wie vor noch steht – inklusive des vielleicht nicht parkähnlich großen Gartens und des alten Baums am anderen Ende, der an dem Sommertag, an dem ich ihn kennenlernen durfte, wunderbaren Schatten spendete.

Und eben weil ich nach wie vor hoffe, dass es solche Orte wie dieses Haus noch gibt und dass sie noch nicht der Nachverdichtung und der Bodenspekulation zum Opfer gefallen sind, wollte ich dieses Haus in Lotte in London festhalten. Ebenso wie meinen ersten verwirrten Eindruck und das Gefühl, dass wir niemals unter keinen Umständen alle zusammen dort gleichzeitig hineinpassen würden.

So, und von der Innenstadt Londons kommen wir nun kurz zu einem anderen, ebenfalls ziemlich bekannten Ort, der es in eines meiner Bücher geschafft hat:

Marzahn

Als Charlottes neue Umgebung im zweiten Band schwebte mir eine Hochaussiedlung vor. Warum? Nun, dafür gibt es viele Gründe.

Zum einen suchte ich nach einem Ort, an dem viele Leute sind, Charlotte aber trotzdem irgendwie allein ist. Es war mir klar, dass sie nicht dort bleiben kann, wo sie in Band eins gelebt hat – in einer kleinen Stadt, in der alle sie kennen und alles mitbekommen haben (wollen), was zwischen Tom, Sania und ihr passiert ist. Wo die Leute Position beziehen – und zwar meist gegen Charlotte.

Mir war also klar, dass Charlotte, wie sie nun einmal ist, das Weite suchen wollen würde. Aber wohin?

So weit weg wie möglich. Berlin, der Schmelztiegel, in dem alle Suchenden zu enden scheinen, erschien mir da irgendwie passend. Also habe ich Charlotte nach Berlin ziehen lassen. Als ich auf der Suche nach einer passenden Bleibe für sie war, war mir klar: Ich möchte sie irgendwohin setzen, wo sie unter Leuten ist, aber zugleich allein.

Was bietet sich da besser an als das Bild des Hochhauses? Ein Universum mit vielen kleinen Einheiten, die sich (fast) nur um sich selbst drehen. Jede Wohnung eine eigene Geschichte, deren Wege sich manchmal, wie im Fall von Charlotte und Jackie, kreuzen.

Ja, ich weiß, das Bild der kalten Anonymität der Großstadt und das Alleinsein unter Tausenden ist ein gängiges, vielleicht schon abgedroschenes Klischee. Aber manchmal ist es einfach zu verlockend, und in diesem Fall habe ich genau das genutzt.

Außerdem habe ich mir überlegt: Wenn Charlotte plötzlich allein mit Regan dasteht – in einer neuen Umgebung, mit einem neuen Job –, wird sie Hilfe brauchen. Allein schon einen Kitaplatz. Irgendwo muss Regan bleiben, während Charlotte versucht, Arbeit zu bekommen oder mit der Cateringfirma unterwegs ist. Und Charlotte wird auch für abends jemanden für Regan brauchen, wenn sie abends oder nachts für die Cateringfirma arbeitet. Wo also finde ich eine Umgebung, die all das bieten kann?

Die Antwort: In einer Siedlung wie eben Marzahn.

Zum einen bieten Hochhaussiedlungen nach wie vor eine gute Infrastruktur. Man findet einen Supermarkt, eine Schule und eine Kita in der Nähe. In der Regel gehen die Kinder der Umgebung genau dort in die Kita, es sei denn, die Eltern entscheiden sich für eine andere Einrichtung – das steht ihnen ja frei. Aber im Falle von Charlotte wäre es das unwiderstehliche Angebot. Sie hätte de facto alles vor der Haustür, was man als gestresste Alleinerziehende brauchen kann, einschließlich eines Kindergartens.

Was sich ebenfalls aus der Lage ergibt ist Hilfe für die Betreuung von Regan, wenn Charlotte Abends weg ist.

Meiner Erfahrung nach gibt es in solchen Hochhäusern oft mehr als eine Familie mit Kindern im gleichen Alter. Wenn man eine neue Familie einziehen sieht, und wenn sie sich dazu noch so ungeschickt und unorganisiert anstellt wie Charlotte und Regan, wird oft erst einmal herzlich gelacht – natürlich auf Kosten von Charlotte. Wenn man jedoch einen guten Tag erwischt, packt man mit an und lernt sich so kennen. Die Kinder lernen sich ebenfalls kennen, stellen fest, dass sie in denselben Kindergarten gehen, und früher oder später tut man, was man tun muss: Man hilft sich gegenseitig aus.

Wenn Charlotte meist nachts arbeitet, benötigt sie für Regan eine Betreuung für diese Zeit. Andererseits kann sie tagsüber einspringen, wenn es bei Isabella oder Jackie Probleme gibt, oder wenn Jackie Überstunden machen muss und ihre Tochter nicht pünktlich von der Kita abholen kann. So hilft man sich gegenseitig, organisiert sich und wächst zusammen. Daher ist die Umgebung, in der ich Charlotte in Wiedersehen in Berlin platziert habe, perfekt für sie. Nicht zuletzt auch, weil ich nach einem Ort gesucht habe, an dem sich eine alleinstehende Mutter die Miete noch leisten kann.

Ich bin mir sicher, dass Charlotte, hätte sie die freie Wahl gehabt, sich nicht für Marzahn, sondern für ein schickes Apartment in der Bel Etage in Charlottenburg mit Stuck an der Decke und glänzendem Parkettfußboden entschieden hätte. Aber finanziell ist das nicht machbar, wenn man nur auf sich und ihre eigene Arbeit angewiesen ist. Daher muss Marzahn reichen.

Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass ich mit Marzahn nichts Negatives verbinde. In den Augen Charlottes mag es ein Absturz sein, in meinen Augen ist es das nicht – beziehungsweise wäre es für mich nicht. Das liegt daran, dass ich selbst in einer Hochhaussiedlung groß geworden bin, in genau der oben beschriebenen Umgebung. Viele Kinder aus den Nachbarhäusern, die mit mir in die gleiche Kita und später in die gleiche Schule gingen, erinnere ich noch gut. Der Spielplatz war in Laufnähe, sogar mit Schatten durch Bäume. Die Schule war ebenfalls nicht weit entfernt. Ich musste nicht erst ewig mit der Straßenbahn durch die Stadt gondeln, und meine Eltern mussten mich nicht mit dem Elterntaxi fahren. Ich konnte allein unterwegs sein, auch zu Orten, die ich besuchen musste, wie zum Beispiel den Supermarkt, wenn ich dazu verdonnert wurde, meiner Mutter zu helfen.

Da ich diese Umgebung gut kenne und sie nie negativ wahrgenommen habe, muss ich zugeben, dass ich einige Diskussionen mit Charlotte hatte, weil ich ihre Abneigung gegenüber Marzahn nicht verstehen kann. Ja, es ist groß, deutlich größer als die Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, aber im Kern ist es ähnlich und mir sehr vertraut. Daher finde ich die Szenen, die dort spielen, sehr angenehm. Ich fühle mich in ihnen sehr wohl, auch wenn es nicht die glücklichste Zeit in Charlottes Leben ist. Was die Feststellung, dass ich die Szenen sehr mag, irgendwie gemein erscheinen lässt. Sollte ich mich nicht eher für meine Figur grämen, statt mich in dieser Umgebung zu Hause zu fühlen?

Wie seht ihr das? Welche Orte habt ihr in euren Geschichten verewigt oder würdet ihr gerne verewigen? Oder seid ihr im Gegenteil durch Bücher und die darin enthaltenen Ortsbeschreibungen dazu inspiriert worden, genau dorthin zu reisen? (Und war es dann so wie im Buch oder konntet ihr den See vor lauter Touristenmassen nicht mehr sehen?) Lasst es uns und mich gerne in den Kommentaren wissen. Auch wenn ihr einen Ort habt, den ich verewigen soll, immer her damit!

Ansonsten sage ich jetzt „Tschüss“ bis in vier Wochen.

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Der Grund